Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
großes Interesse an Tony hat, dem Polizisten des Philadelphia Police Department. Denn Tony ist ein Cibopath, das bedeutet: Er verfügt über die Gabe, allem, was er verzehrt, die Lebensgeschichte abzuschmecken, zum Beispiel den Geburts-, Mast- und Schlachtort, aber auch den Schlächter und den Koch – ideale Voraussetzungen, um Hühnchenschmuggler zur Strecke zu bringen. Die neue Prohibition hat nämlich mit dem alten Problem zu tun: Wo Verbote verbieten, werden rasch Dienstleister auf den Plan gerufen, die das Verbotene gegen Gebühr herbeischaffen.
Aber bald hat es Tony Chu mit Kriminellen und mit Bedrohungen ganz anderen Kalibers zu tun – unter anderem mit einer als Pfadfindergruppe getarnten Todessekte, einer Suppenküche von Kannibalen oder »mordgeilen Mounties auf Ahornspezialsirup«.
Außerdem ist in Flambiert neuerdings eine flammende Schrift am Firmament erschienen. Das Menetekel ist in unentzifferbaren Buchstaben verfasst, anscheinend außerirdischen Ursprungs. Ganz abgesehen davon bastelt ein nordkoreanischer General an einer Biowaffe, die einen neuen Grippe-Tsunami auslösen würde.
Während es in Flambiert himmelhoch hergeht und mit dem bombastischen Nordkorea-General ein Global Player seinen Hut in den Ring wirft, spielt Erste Liga in eher familiären Dimensionen: Tony Chu wird nicht nur zum ordinären Verkehrspolizisten (im Schottenrock) degradiert, sondern auch noch entführt, ebenso wie seine Tochter Olive.
Die Motive der Entführer könnten allerdings verschiedener nicht sein: Tonys Tochter ist von dessen ehemaligem Mentor und Partner Mason Savoy gekidnappt worden, der selbst Cibopath ist und die junge Chu gewissermaßen anlernen und zu seiner möglichen Nachfolgerin ausbilden möchte.
Tony selbst dagegen ist aus sehr viel niedrigeren Beweggründen geraubt worden: Sein Entführer, ein gewisser Dan Franks, wartet mit einem besonderen Speiseplan auf: mit exhumierten verblichenen Baseballstars. Sein Plan: Der Cibopath und Ex-FDA-Agent soll von dem verwesten Fleisch kosten, um »schlüpfrige Details aus ihrem Liebesleben« herauszuschmecken. Denn Frank möchte unter die Autoren gehen und ein Buch schreiben über die postumen Enthüllungen, schließlich weiß doch jedes Kind: »Wer hat mehr Sex als Profi-Baseball-Spieler?«
Anderswo schlägt unterdessen Hershel Brown zu, ein so genannter Xocoscalperist, der aus Schokolade lebensechte Imitate herstellen kann, und dies so naturgetreu, dass beispielsweise die von ihm gefertigten Schokoladenwaffen mindestens so tödlich sind wie ihre stählernen Vorlagen.
So geht es zu in Chews wunderlich-verschrobenen All-you-can-eat-Universum, dessen Figurenwelt inzwischen immer komplexer wird. Nicht nur Tony Chu, seine Tochter und sein ehemaliger Partner sind mit exzentrischen Kräften unterwegs. Der Cibolocutor Fantanyeros kommuniziert via Nahrungsmittel; der Voresoph Daniel Migdalo wurde umso klüger, je mehr er aß; die Saboscrivnerin Amelia Mintz vermag Speisen derart eindrücklich zu beschreiben, dass ihre Texte buchstäblich den Gaumen ihrer Leser kitzeln. Tonys Schwester Antonelle »Toni« Chu schließlich ist eine Cibovoyant, das heißt: Sie vermag in die Zukunft ihrer Leibspeisen zu schauen (wenn sie denn eine haben).
Chew gehört längst zu den großartigen, eigensinnigen neuen Serien, die nicht nur in den USA Furore machen – wie Mike Mignolas B.U.A.P. oder vor allem die Umbrella Academy von Gerard Way und Gabriel Bá, auf deren Fortsetzung die Fans seit Jahren hoffen. John Layman und Rob Guillory dagegen liefern zuverlässig weitere irrwitzig-liebenswerte Episoden aus dem Ciboversum.
Wie immer sind die beiden Hardcover etwas kleinformatiger geraten als das US-amerikanische Original. Aber die deutsche Ausgabe hat eben bestes Coffee-Table-Format und verdrängt dort weder Toffifee noch After-Eight-Pfefferminz-Schokoladen-Schnittchen – was könnte passender sein für den Bullen mit Biss?
Hartmut Kasper
RICHARD CORBEN u. a.
CREEPY PRESENTS: RICHARD CORBEN
Dark Horse, Milwaukee 2012 · 320 Seiten · $ 29,99 (US-Import)
Underground-Comix? Frühe Graphic Novels? Marvel-Ikonen wie der Hulk oder der Punisher? Urzeit-Schönheiten und mörderische Irre? Poe und Lovecraft? Conan? Hellboy? Völlig egal! In den letzten fünf Dekaden hatte der amerikanische Comic-Künstler Richard Corben sie alle!
Dabei revolutionierte der unverwechselbare Pionier des Panel-Horrors bereits in den Siebzigerjahren die Koloriertechniken seiner Branche und
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