Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
einer Auswahl seiner prächtigen Science-Fiction-Gemälde inklusive.
Nochmals bon voyage, Moebius.
Christian Endres
FRANÇOIS SCHUITEN
ATLANTIC 12
(12 LA DOUCE)
Schreiber & Leser, Hamburg 2012 · 88 Seiten · € 22,80
François Schuitens ( Die geheimnisvollen Städte ) Comic Atlantic 12 ist nicht nur eine Liebeserklärung an die legendäre belgische Dampflok, sondern auch eine Parabel über den richtigen Umgang mit Fortschritt und Tradition. Bei Schreiber & Leser ist das Album Ende 2012 mitsamt eingebauter Weiche in die erweiterte Realität auf Deutsch erschienen.
Als ihm die Idee zu Atlantic 12 kam, arbeitete François Schuiten gerade als Bühnenbildner für ein Projekt des Eisenbahnmuseums in seiner Heimatstadt Brüssel, wo der Comic-Künstler in der Nähe des Bahnhofs Schaerbeek wohnt. Das in diesem Umfeld auf die Schienen gehobene Schwarz-Weiß-Album ist Schuitens erster Comic, den er auch selbst geschrieben hat. Für Eisenbahnen begeistert Schuiten sich hingegen schon länger. Denn bereits als Kind, so Schuiten, habe er sich immer eine Eisenbahn gewünscht, von seinem Vater aber stets bloß Malkästen geschenkt bekommen. An Eisenbahnen hätte ihn, so der 1956 geborenen Belgier, immer besonders fasziniert, wie sie die Menschen und die Welt verändert hätten. Von den Reisen und Abenteuern, für die sie stünden, ganz zu schweigen.
Um eine letzte Reise – ein letztes Abenteuer – geht es auch in Atlantic 12 . Schuiten erzählt darin die Geschichte des alten passionierten Lokführers Van Bel, dessen geliebte Dampflok 12.004 ausrangiert wird, da sie sich gegen den elektronischen Fortschritt auf den Gleisen und die Vorzüge der Seilbahn nicht mehr durchsetzen kann, während es für Van Bel und seinen Heizer trotz aller Erfahrung und Hingabe obendrein immer schwieriger wird, die Zwölf mit so wenig Kohle wie möglich sicher und schnell durch überflutete Gebiete zu bringen.
Allerdings ist Schuitens Comic nur auf den ersten Blick der verklärte Kommentar eines Dampflokomotiven-Liebhabers und Nostalgikers, der gegen den in jeder Generation und jeder Epoche unaufhaltsamen Fortschritt wettert. Die immer surrealer werdende Story von Van Bel, der im Verlauf seiner anstrengenden Exkursion durch eine geradezu endzeitliche Wildnis zum gefluteten Eisenbahnfriedhof auf eine junge Schrottdiebin und ihren durchtriebenen Hehler trifft, ist viel mehr eine zeitlose, themenunabhängige Parabel auf den richtigen Umgang mit Tradition und Kultur. Schuiten möchte vermitteln, dass das trotzige, obsessive Festhalten an Vertrautem und Liebgewonnenem genauso gefährlich sein kann wie das allzu leichtfertige und sorglose Entsorgen des Vergangenen. Es geht also um das bewusste Behüten und Konservieren von kulturellen Gütern, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben und dem Wandel nicht mehr standhalten können.
»Dampflokomotiven sind ein Gottesgeschenk für Schwarz-Weiß-Zeichnungen«, betont Schuiten außerdem in Hinblick auf sein Artwork in diesem Band. Der Künstler hat viel Mühe darauf verwendet, die einst schnellste Dampflok der Welt auf den Comic-Seiten detailgetreu abzubilden. Dabei war es gar nicht so leicht, die »Atlantic 12« aus den 1930ern zu rekonstruieren – von der so dynamisch designten Zugmaschinen-Serie in aus heutiger Sicht Retro-Science-Fiction-Optik wurden nur sechs Exemplare gebaut, und einzig die 12.004 hat die Zeit halbwegs überdauert. Zudem gibt es keine vollständigen Baupläne mehr. Bei seinen Figuren, die allesamt auf realen menschlichen Vorbildern basieren, konnte der akribische Schuiten dafür aus dem Vollen schöpfen und seine Fotoreferenzen aufwendig mit Bleistift und Tusche zum Leben erwecken. Dazu kommen eine Vielzahl prächtiger Hintergründe in dieser nach und nach immer stärker ins Verträumte abdriftenden Welt – dieser Endzeit für alte Dampfrösser, Alteisen und alte Männer.
Aber nicht allein die Zeichnungen von Schuitens Eisenbahnergeschichte der etwas anderen Art sind etwas Besonderes. Darüber hinaus verknüpft der Comic Print und Online, wie es bekanntlich immer mehr Publikationen tun. Augmented Reality – erweiterte Realität – heißt das Zauberwort und ermöglicht mit Hilfe einer Computer- oder Handy-Kamera und einem grafischen Code auf der gedruckten Seite die Interaktion zwischen den Medien. Auf dem Vorsatzblatt des deutschen Hardcover-Albums ist so etwa ein Eisenbahndepot abgebildet – die Weiche für die Weiterfahrt im Internet. Hält man dieses Bild vor
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