Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
ein Text natürlich viel glaubhafter (und wissenschaftlicher) als durch zehn Seiten Erklärungen.
Bei diesen Techniken schimmert immer wieder der Handwerker durch und bei seinen Namen und Dialogen der Musiker. Vance, der mehrere Instrumente spielte, darunter Kornett, Ukulele und Kazoo, war Mitglied einer Jazzband und der festen Überzeugung, Prosa müsse swingen. Sein überaus sarkastischer, mitunter bösartiger Humor hallt jedenfalls nach. Kostprobe:
»Dort sitzt der Missetäter. Ich sah, wie er wölfisch grinsend mir den Bart abschnitt!«
Empört rief Cugel: »Er redet irr! Achtet nicht auf ihn. Ich saß hier unbeweglich wie ein Fels, während sein Bart gestutzt wurde. Das Bier hat wohl seine Sinne benebelt!«
»Unverschämtheit! Ich habe Euch mit beiden Augen gesehen!«
Im Tonfall des schuldlos Verdächtigten sagte Cugel: »Weshalb sollte ich Euch den Bart nehmen? Hat er überhaupt einen Wert?«
– Cugel, der Schlaue
Oder:
»Bodwyn Wook? Pah! Bodwyn Wook ist ein Schanker an den Weichteilen des Fortschritts!«
– Station Araminta
Oder Tanith Lees Lieblingssatz:
»I would offer congratulations were it not for this tentacle gripping my leg.«
– Cugel’s Saga
In Frankreich, Belgien und den Niederlanden war Jack Vance ein Superstar. Schwer zu sagen, warum nicht in den USA und bei uns. Das Werk, mit dem er am ehesten identifiziert wird, besteht aus Kurzgeschichten – das ist abträglich. Er arbeitete seine Plots vielleicht nicht konsequent genug aus und schien bei Zyklen nach und nach die Lust zu verlieren – das kommt dem Massengeschmack gar nicht entgegen. Er verlor sich in psychedelisch gekräuselter Oberfläche, anstatt ein Hauptwerk mit echtem Tiefgang zu schreiben, das die Kritiker aufmerksam gemacht hätte – da bleibt man leider Genre-Autor. Aber ist das so schlimm? »Die Popkultur hat eh gewonnen«, wie Denis Scheck einmal völlig richtig anmerkte.
Als Kultautor hat Vance einen festen Kreis von Bewunderern, die sich um sein Werk verdient gemacht haben. Er ist der unangefochtene Lieblingsautor seiner Kollegen. Bibliophile Liebhaberausgaben seiner Bücher erschienen oder erscheinen in Kleinverlagen wie Underwood/Miller (USA) und Edition Irle (Deutschland), und wohl einmalig dürfte das Projekt »Vance Integral« sein, bei dem mehrere hundert Fans als Internetgemeinschaft eine Neuausgabe seines Gesamtwerks (44 Hardcoverbände) betreuten. Unterstützt wurde das Projekt von Milliardär und Microsoft-Mitgründer Paul Allen, der in Seattle das Experience Hendrix Museum gründete. Für Allen sind Jimi Hendrix und Jack Vance Amerikas größte Künstler der Populärkultur. Gary Gygax, der Erfinder des Rollenspiels Dungeons & Dragons , war ein glühender Vance-Verehrer und strickte das Magiesystem in D&D nach den vanceschen Zaubersprüchen. Sein Weltenbau diente ihm darüber hinaus als Vorbild.
Michael Chabon, Dan Simmons, Neil Gaiman, Tad Williams, Robert Silverberg und zahllose andere Autorinnen und Autoren wurden als Jugendliche von Vance verzaubert. Alle sind sie mit Beiträgen in der von George R. R. Martin und Gardner Dozois herausgegebenen Anthologie »Songs of the Dying Earth« (2009) vertreten. Das erste »Tribute Album« der Pop-Literatur! Jeder von ihnen schrieb eine »Dying Earth«-Geschichte und versuchte, dem Meister so nahe wie möglich zu kommen. Und jeder erzählt dazu die Geschichte, wie er oder sie zum ersten Mal mit einem Text von Jack Vance in Berührung kam. Jeder von ihnen kann sich noch daran erinnern.
Und für alle ist Jack Vance sträflich unterbewertet. Chabon meint, hätte Italo Calvino als Autor über den »Dragon Masters« gestanden, wäre der Text weit über die Grenzen des Genres bekannt geworden, während Simmons noch weiter geht: Wäre Vance in Südamerika geboren worden, hätte er als Vertreter des Magischen Realismus den Nobelpreis erhalten … Vance hat jedenfalls als einziger Autor alle Hauptpreise der Science Fiction, Fantasy und Kriminalliteratur gewonnen: Hugo Award, Nebula Award, World Fantasy Award und den Edgar Allan Poe Award.
Jack Vance starb am 26. Mai 2013 im Alter von 96 Jahren. Er hinterlässt Sohn und Enkel, nachdem seine Frau Norma bereits 2008 verstarb.
Jetzt ist die Welt weniger bunt.
Werner Fuchs ist Verleger und befasst sich seit vielen Jahren mit Science Fiction und Phantastik in all ihren Ausprägungen.
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