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Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Titel: Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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kompliziertesten SF-Autorinnen aller Zeiten dem Genre ihren Stempel aufdrückte
    Jemand, den niemanden kennt, der keine Lesungen veranstaltet, kein Foto und keinen Lebenslauf von sich herausrückt und auch sonst jegliche Kommunikation außer durch seine Texte strikt verweigert, kann im Literaturbetrieb eigentlich keinen Erfolg haben. »James Tiptree jr.« jedoch war von 1968, als die erste Story unter diesem Namen erschien, bis 1977, als das Pseudonym gelüftet wurde, wohl einer der meistgenannten Namen in der US-amerikanischen Science-Fiction-Szene. Nicht nur, dass niemand den geheimnisvollen Autor je zu Gesicht bekam, denn alle Nachrichten liefen über ein ominöses Postfach, spätestens nachdem ein gewisser David Gerrold den geheimnisvollen Autor aufgetrieben und mit ihm gesprochen hatte, ohne es zu bemerken (dazu weiter unten); Tiptree veröffentlichte zudem in rascher Folge eine Fülle außerordentlich guter Geschichten, kümmerte sich nicht im Geringsten um die bis dahin geltenden Konventionen des Genres und räumte diverse Literaturpreise ab – und zwar sowohl die von den Lesern als auch die von den Kritikern vergebenen, was sonst selten zusammentrifft.

    Das Rätsel gab zu allerlei Spekulationen Anlass. Theodore Sturgeon, einer der großen alten Männer der amerikanischen Science Fiction und damals selbst ein einflussreicher Autor, hielt Tiptree Anfang der Siebzigerjahre für »den einzigen männlichen Schriftsteller, der es mit der Übermacht der Frauen aufnehmen könnte« – denn Autorinnen wie Ursula K. Le Guin, Joanna Russ, Marge Piercy und (als Herausgeberin und Literaturagentin) Virginia Kidd brachen zu dieser Zeit massiv in die ehemalige Männerdomäne Science Fiction ein und lehrten die alten Männer offenbar gehörig das Fürchten. Robert Silverberg, ebenfalls ein berühmter SF-Autor (damals deutlich mehr als heute, wo es seit über einen Jahrzehnt keine lieferbaren deutschen Bücher mehr von ihm gibt), bescheinigte Tiptrees Erzählungen in einem Aufsatz sogar »etwas unverkennbar Maskulines«, und das, obwohl oft feministische Gedanken in den Texten auftauchten – oder solche, die sich so anfühlten, bei näherem Hinsehen aber mehr waren als nur das.
    In der preisgekrönten Novelle »Houston, Houston, bitte melden« von 1976 etwa werden drei NASA-Astronauten durch unerklärliche Einflüsse in die Zukunft versetzt und treffen auf eine Menschheit, in der die Männer ausgestorben sind. Infolgedessen – so postuliert die Erzählung – ist diese Gesellschaft, die nur noch aus Frauen besteht, ohne Aggressionen, wirklich frei und gerecht. Die drei Männer, gefangen in ihren anerzogenen Rollen, kommen mit dieser locker-unverkrampft dahinlebenden Weiberwelt nicht klar und enden in Wahn, Selbstmord und der Karikatur eines gewaltsamen Aufstands.
    Der sichere Stil, die einfühlsame Schilderung der Charaktere, die souveräne Handhabung der Psychologie der Figuren und der unaufdringliche Spannungsaufbau dieser Novelle sind kennzeichnend für die Geschichten Tiptrees, ebenso die geradezu nüchtern-wissenschaftliche Konsequenz, in der die einmal gegebene Prämisse des Gedankenexperiments zu einem konsequenten Ende hin durchexerziert wird. Ob man heute die Theorie, Frauen könnten a priori kein aggressives Verhalten zeigen, einem Autor ernsthaft durchgehen lassen würde, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
    Manches wurde klarer, als infolge einer geradezu kafkaesken Verkettung von Zufällen bekannt wurde, dass all diese frechen, modernen und überraschenden Erzählungen von Alice Sheldon stammten – einer älteren Dame Jahrgang 1915 und mit bewegter Vergangenheit: Auf zahllosen Reisen mit ihren Eltern war sie in Asien, Afrika und (nur wenig) in den USA groß geworden, sozusagen als Weltbürgerin aufgewachsen, noch ehe es den Begriff Jetset überhaupt gab. Sie war dann eine halbwegs erfolgreiche Grafikerin in Chicago und die erste Frau, die 1942 die Air Force Intelligence School absolvierte. Im Weltkrieg war sie einer der ganz wenigen weiblichen Geheimdienstoffiziere. 1945 begab sie sich im besiegten Deutschland auf die Jagd nach Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Informationen und wurde ab 1952 CIA-Mitarbeiterin, bis ihr – aus einer Vielzahl von Gründen – 1955 diese Arbeit einer Kalten Kriegerin reichte und sie sich selbst im Stile eines Agentenfilms von der Bildfläche verschwinden ließ. Danach studierte sie Psychologie, um 51-jährig und mit Auszeichnung einen Doktor in

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