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Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Titel: Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Experimentalpsychologie zu machen. Schließlich, als sie ihres angegriffenen Herzens wegen diesen Beruf nicht ausüben konnte, war sie hauptberuflich die Betreiberin einer Geflügelfarm – und eben nebenbei »James Tiptree jr.«. Und das genauso querköpfig und unkonventionell wie alles andere, was sie tat (»Raccoona Sheldon« war sie auch noch, so lautete ihr zweites Pseudonym – ein »raccoon« ist ein Waschbär). Ihre Biografie lässt sich neuerdings viel umfassender und tiefgründiger nachlesen, dazu weiter unten mehr.
    Tiptrees Geschichten stechen unter all der Dutzendware, die sich zwischen den Deckeln diverser Science-Fiction-Bücher findet, in mehrfacher Hinsicht hervor. In einer Tiptree-Story ist dem Leser wie dem Autor all die phantastische Technik und Wissenschaft prinzipiell egal; so gut wie nie wird die Funktionsweise irgendeiner Vorrichtung erklärt, außer es wäre für den Fortgang der Geschichte von Bedeutung. Und das stört auch überhaupt nicht, denn es geht um Menschen, Gefühle, Schuld, Geschlechterrollen, Gleichberechtigung und immer, fast immer zumindest, auf ungewöhnliche Art und Weise um die Liebe, wie etwa in einer wirklich hinreißenden ihrer zahlreichen Liebesgeschichten – sie heißt »Ein Leben für eine Decke der Hudson Bay Company« und handelt, komisch und anrührend zugleich, von einer Reise in der Zeit. Vielleicht gehört sie zu den besten Zeitreise-Geschichten, die jemals geschrieben wurden, auf Augenhöhe mit solchen Perlen wie »Travellers’ Rest« von David I. Masson oder »April in Paris« von Ursula K. Le Guin.

    In einer Tiptree-Story gibt es prinzipiell keine blassen, faden Maschinenbediener wie sonst so oft in SF-Texten, sondern höchst glaubhaft und lebendig wirkende Menschen, die dem Leser oft sehr vertraut sind, wie etwa die wegen ihrer Hässlichkeit verlachte und gedemütigte Raumfahrerin Cold Pig in »Mit zarten irren Händen«, die auf wundersame Weise vor den Menschen flüchtet und eine sehr seltsame Liebe findet.
    Eine Tiptree-Story ist in der Regel für den Leser überraschend erzählt und schlägt immer dann Haken, wenn es nicht erwartet wird, wie in »Das ein- und ausgeschaltete Mädchen«, ein so faszinierendes wie erschreckend tragisches Gleichnis auf die Manipulierung des Menschen in der modernen Welt, in dem Tiptree sowohl mit Sprache und Stil als auch mit den Gefühlen des Lesers ein hintergründiges Spiel treibt.
    Eine Tiptree-Story ist immer konsequent bis zur Schmerzgrenze, wie etwa in der preisgekrönten Erzählung »Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod«, wo das Liebesleben einer außerirdischen Lebensform beschrieben wird, bei der die vollzogene Liebe automatisch den Tod bedeutet, was den Gefühlen dieser Wesen eine ungeheure Tiefe und Ehrlichkeit gibt.
    Konsequenz einer Art, die schockieren mag, bewies sie denn auch bei ihrem eigenen Ende. Am 19. Mai 1987 setzte die 71-jährige, schwer herzkranke Frau einen mindestens elf Jahre alten Vorsatz in die nur mühsam akzeptierbare Tat um: Sie erschoss nach reiflicher Überlegung und im beiderseitigen Einverständnis erst ihren 84jährigen, erblindeten und ans Bett gefesselten Mann (der im Krieg ihr Vorgesetzter gewesen war) und danach sich selbst, nachdem sie in einem Brief an ihren Rechtsanwalt die Tat angekündigt, begründet und ihre letzten Angelegenheiten geordnet hatte. Schon 1976 hatte sie in einem Brief geschrieben, dass sie zwar keine Angst vor dem Alter habe, aber ein unwürdiges Siechtum ablehne. Man fand ihren Leichnam Hand in Hand mit ihrem toten Ehemann.
    Alice Sheldon alias James Tiptree jr., ein notorischer Querkopf und eine in vieler Hinsicht ungewöhnliche Autorin, wird neuerdings den deutschsprachigen Lesern wieder und erstmals in systematischer Form nahegebracht: Im kleinen Wiener Septime-Verlag erscheinen ihre »Sämtlichen Erzählungen« in sieben Hardcover-Bänden, allesamt neu übersetzt und liebevoll gestaltet. Ob Jürgen Schütz und sein Septime-Verlag es schaffen, den hundertsten Geburtstag der Autorin, der 2015 ansteht, mit dem glücklichen Abschluss dieser Edition zu begehen, ist fraglich, aber es spielt auch keine Rolle. Bereits der Anfang der Edition mit dem (im SCIENCE FICTION JAHR 2011) besprochenen »Quintana Roo« war äußerst vielversprechend und hat sofort die Aufmerksamkeit des nicht nur im Fernsehen unaufhörlich für gute Literatur trommelnden Denis Scheck gefunden, der seitdem bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf James Tiptree jr. und ihre »Sämtlichen

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