Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
zu den Hälsen heraus. Sie kontern dessen monomanischen Enthusiasmus mit kollektivem Augenrollen und frustriertem Herunterbeten der Formelelemente: Das Display des dem Besetzungs-Direktor zugeworfenen Burton-Mobiltelefons zeigt der Einfachheit halber lediglich zwei Nummern (die von Burton-Ehefrau Helena Bonham Carter und die von Johnny Depp), Stammkomponist Danny Elfman summt ein nur dezent übertreibendes Pasticcio seiner tatsächlich parodieanfälligen, eingängig schrägen und darin verwechselbar unverwechselbaren Filmmusiken, die Maskenbildnerin knallt gelangweilt einen vom letzten Dreh übriggebliebenen, gewaltigen Eimer weißer Schminke auf den Tisch, der Chef faselt etwas von »off-kilter camera angles« und »some cartoonish hills on the background« für den Vorspann und bleibt schließlich mit seiner unansteckenden Begeisterung allein. All das trifft in zweieinhalb Minuten den Nagel auf den Kopf und ist nicht einmal besonders böse gemeint, würdigt es doch die Handschrift eines Künstlers, der zweifellos über eine eigene Handschrift verfügt. Zwar könnte man über so gut wie jeden unverkennbaren Kino-Stilisten ähnliche Witze reißen; in Burtons Fall allerdings summieren sich die vielen Manierismen bis an die Grenze immanenter Selbstparodie und betreffen – vom Catering vielleicht abgesehen – jeden einzelnen Aspekt des filmkünstlerischen Prozesses. Also kippt Burton den Eimer weißer Schminke nach Edward Scissorhands (1990), Ed Wood (1994), Sleepy Hollow (1999), Charlie and the Chocolate Factory (2005), Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street (2007) und Alice in Wonderland (2010) wieder einmal über seinen Lieblings-Dandy-Nekromanten. Und wieder einmal gespenstert sich der vor der Kamera seines Leib- und Magen-Regisseurs zu Dauerblässe verdammte Johnny Depp in Dark Shadows , der Kino-Adaption einer zwischen 1966 und 1971 ausgestrahlten TV-Serie, durch die Rolle des aus Zeit und Ort gefallenen, liebenswürdig-schrulligen Düster-Exzentrikers, nunmehr in Gestalt von Barnabas Collins, welcher in den späten 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts die Liebe der Hexe Angelique Bouchard verschmäht, dafür von dieser in einen Vampir verwandelt und bei untotem Leib vergraben, in den frühen 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts von Bauarbeitern aus seinem Grab befreit wird, sich stracks auf das Familienanwesen Collinwood im Hafenstädtchen Collinsport in Maine zurückbegibt und dort nicht nur auf die erheblich dysfunktionalen Reste seines Clans sowie die noch immer so garstig umtriebige wie an Barnabas triebstark interessierte Angelique stößt, sondern vor allem auf die irritierenden kulturellen Konventionen (Lavalampen, Hippies, Alice Cooper) eines neuen Zeitalters, das durch gegenwärtige Filmzuschauer-Augen kaum weniger seltsam und fremd anmutet als durch die eines dem aufgeklärten Amerika George Washingtons entstammenden blutdurstig-bleichen Gentlemans. Barnabas gelingt es, seiner Familie zu neuerlichem Wohlgefühl, Reichtum und Ansehen zu verhelfen, der Hexe den Garaus zu machen und sich schließlich mit seiner zwiefach wiedergeborenen großen Liebe Josette in vampirischer Ewigkeit zu vereinen. Tim Burtons Geheimformel findet in Dark Shadows offensichtliche, aber eher zurückhaltende Anwendung, worin gleichermaßen Stärken und Schwächen des Films begründet sind. Wenn nach dem vorgeschichtlichen Intro mit den üblichen Ingredienzen wie schwarzgotischer Architektur, depressiver entlaubter Bäume und (eben ganz der geheimen Formel gemäß) unkonventionellen Kameraeinstellungen auf comichaft überzeichnete Hügel im Hinter- sowie von Gewittern umtoste zackenüberreiche Felsenriffe im Vordergrund mit dem Zug durch herbstliche Wälder in die 1970er eingefahren wird – untermalt mit »Nights in White Satin«, dem seinerseits unsterblichen Überhit von The Moody Blues –, offenbart sich eine sowohl für Burton als auch für Barnabas Collins neue und nur behutsam verwaschen-entfärbte Welt, die beide gleichsam mit sichtlicher Lust, distanziertem Unbehagen, launiger Ironie und wachsender, gewohnt kauziger Souveränität erkunden. Burton ist nicht nur für seine stur praktizierte Formel bekannt, sondern auch für die qualitativen Unterschiede der Ergebnisse, die diese Formel zeitigt, wobei insbesondere sauberes filmisches Erzählen keines ihrer verpflichtenden Elemente bildet. Anders als Sweeney Todd , Corps Bride (2005) oder Big Fish (2003) gehört Dark Shadows zu den weniger gelungenen unter Burtons morbiden
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