Das sechste Herz
Zeitung und legte sie in den Einkaufswagen. Und zum Ausgleich für die Boulevardzeitung noch eine Tagespresse dazu. Mal sehen, was Christin über den Fall schrieb.
Diesmal war die Morgenpost am schnellsten gewesen. Sie mussten einen Informanten haben. Da die meisten Tageszeitungen spätestens um Mitternacht in den Druck gingen, konnten die News, die danach hereinkamen, erst in der Ausgabe des darauffolgenden Tages untergebracht werden. Und die Bild hatte mit einem als Weihnachtsmann verkleideten Bankräuber aufgemacht.
Lara hatte schon heute Morgen in den Internet-News gelesen, dass die Kripo inzwischen die Frauenleiche vom Elsterflutbecken identifiziert hatte, aber ihre stete Gier nach neuen Informationen brachte sie dazu, auch noch diverse Zeitungen zu kaufen und zu vergleichen.
Ruckweise glitt das Laufband voran. Das Pärchen vor ihr stapelte mehrere Tüten Chips, Gummibärchen, vier Kartons billigen Rotwein und sechs Schachteln Zigaretten auf die schwarze Unterlage. Im Wagen hatten sie außerdem noch zwei Sixpacks Bier. Lara konnte sich die Abendgestaltung der beiden lebhaft vorstellen. Im Vergleich dazu wirkte das, was sie jetzt aus ihrem Wagen nahm, wie der Einkauf eines Gesundheitsapostels. Sie betrachtete den schmalen Hintern des Mädchens und fragte sich, wie die junge Frau bei dieser Art von Ernährung so gertenschlank sein konnte. Aber vielleicht waren die Chips und der Süßkram auch allein für ihren Freund bestimmt. Laras Blick glitt über die aufgereihten Kaugummisorten neben der Kasse. Sie hatte den ganzen Morgen an ihrem nächsten Artikel geschrieben und ihn dann gleich an Jens geschickt. Die für heute anberaumte Pressekonferenz von Kripo und Staatsanwaltschaft würde in zwei Stunden beginnen, und sie hatte beschlossen, vorher noch ein paar Lebensmittel für die Weihnachtsfeiertage zu besorgen. Ihre Mutter hatte sie gebeten, noch etwas Sekt – nicht den ganz süßen, bitte – mitzubringen, und so klapperten nun auch sechs Flaschen Rotkäppchen halbtrocken in ihrem Pappkarton aneinander. Nach langem Hin und Her hatte Lara entschieden, das Fest doch wie jedes Jahr bei ihren Eltern zu verbringen. Am ersten Feiertag würde sie dann mit Jo chinesisch essen gehen und sich am zweiten mit ihrer Freundin Doreen treffen. Damit waren ihrer Meinung nach alle zufriedengestellt. Bis auf den Umstand, dass sie noch immer kein Geschenk für Jo hatte. Das Fast-Food-Pärchen lud seine Einkäufe in den Wagen. Lara betrachtete das Bild auf der Titelseite der Mopo . Laura M. Die junge Frau sah zerbrechlich aus. Wahrscheinlich war sie eine leichte Beute für den Täter gewesen. Wie er sie erwischt hatte, schien man noch nicht zu wissen. Vielleicht erfuhren sie nachher in der Pressekonferenz mehr dazu.
Ihr klirrender Sektkarton war an der Kasse angekommen. Lara kramte nach ihrem Portemonnaie. Es war noch eine knappe Stunde Zeit bis zu ihrem Treffen mit Jo. Sie würde die Zeitungen in Ruhe in ihrem Auto studieren können.
Laura M. wurde das sechste Opfer des Schlachters. Am Sonntag war die junge Frau mit ihren Freundinnen über den historischen Weihnachtsmarkt auf dem Naschmarkt in Leipzig gebummelt. Gegen neunzehn Uhr verabschiedete sie sich, um nach Hause zu fahren. Danach wurde sie nicht mehr gesehen. Ihr Freund meldete sie noch am gleichen Abend als vermisst.
Die Leiche von Laura M. wurde am Mittwoch nahe der Landauer Brücke im Elsterflutbecken entdeckt. Lauras Herz hatte der Täter schon am Montag vor dem Kindergarten Spatzennest deponiert, wo ein Lieferant es fand ( Mopo berichtete).
Laura M. hatte im Sommer ihr Abitur am Leibniz-Gymnasium gemacht und anschließend ein Studium der Erziehungswissenschaften an der Uni Leipzig begonnen. Die junge Frau war allseits beliebt. Warum der Täter gerade sie ausgewählt hat oder ob sie ein Zufallsopfer war, ist noch nicht geklärt.
Die alleinige Täterschaft von Frank S., die noch am Montag von der Polizei bestätigt wurde, ist damit hinfällig. Wer war noch an den schrecklichen Verbrechen beteiligt?
Noch ehe sie den Sinn der Sätze erfassen konnte, blieben Laras Augen an einem Namen hängen. Sie spürte ihren Frühstückskaffee nach oben kommen und schluckte heftig, der plötzliche Brechreiz wollte jedoch nicht verschwinden. Sie schloss die Augen und murmelte mehrfach: Es ist eine Täuschung, eine Einbildung deines überreizten Geistes vor sich hin. Es dauerte eine Weile, bis sie sich imstande fühlte, durch die halb geschlossenen Lider auf die Buchstaben zu
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