Das sechste Herz
starren. Das Ganze hatte nichts genützt. Da stand es noch immer, schwarz auf weiß:
Was weiß Doktor G.?
Ist dieser Arzt in den Fall verstrickt?
Es folgte ein kurzer Abriss über den Fall Magnus Geroldsen und die Mitteilung, dass »Doktor G.« den damals Siebzehnjährigen begutachtet hatte. Der Artikel endete mit der Information über Marks »Befragung« und Spekulationen, was er über die aktuellen Entwicklungen wissen könnte. Die Buchstaben tanzten vor Laras Augen, das Zittern ihrer Finger übertrug sich auf das Papier und brachte es zum Vibrieren. Im Mund hatte sie einen sauren Geschmack.
Woher hatte die Morgenpost diese Angaben? Mark war erst gestern von der Kripo befragt worden. Lara legte die Zeitung auf den Beifahrersitz und begann, in der Umhängetasche nach ihrem Handy zu wühlen.
Sie hatten seinen Namen abgekürzt – gut, aber wie lange mochte diese Zurückhaltung andauern? Wann würden sich weitere Zeitungen auf Mark stürzen, ihn zerfleischen und seinen Ruf zerstören? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Medien mit einem Federstrich Karrieren zunichtemachten. Stellte sich das Ganze im Nachhinein als Irrtum heraus, war der Schaden bereits angerichtet. Hastig wählte sie Marks Handynummer. Die Mailbox sprang an. Nach kurzem Überlegen versuchte sie es bei Jo, erreichte aber auch hier nur den Anrufbeantworter, und auch in Marks Praxis ging keiner ans Telefon. Noch ehe sie sich anders besinnen konnte, hatte sie schon seine Festnetznummer aufgerufen.
»Grünthal?« Anna klang abgehetzt.
»Hier ist Lara. Lara Birkenfeld.«
»Ich weiß. Lassen Sie uns in Ruhe. Mark ist nicht da.«
»Ich muss ihn dringend sprechen! Wo könnte er denn sein? Er geht nicht an sein Handy.«
»Sie müssten doch am besten wissen, wo er steckt!« Es klang verächtlich.
»Wie meinen Sie das?« Lara sah sich im Rückspiegel. Weit aufgerissene Augen, gerunzelte Stirn.
»Er war schon seit dem Wochenende nicht mehr daheim. Sie können ruhig zugeben, dass er seit Sonntag in Leipzig war!«
»Wie … ich verstehe nicht.« Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. Dachte Marks Frau tatsächlich, er hielte sich bei ihr auf?
»Und jetzt lassen Sie uns in Ruhe und rufen Sie nicht mehr hier an. Nie wieder!« Anna kreischte die letzten Worte heraus und legte auf.
»Ich glaube es nicht …« Lara betrachtete ihren fragenden Gesichtsausdruck im Spiegel. Hatte Mark nicht gestern Abend gesagt, er müsse zurück, weil er heute noch Patienten habe? Warum war er dann nicht in seiner Praxis? Müsste nicht wenigstens die Sprechstundenhilfe ans Telefon gehen? Und wo zum Teufel hatte er die letzten Nächte verbracht?
*
»… entkam sie dem Entführer wie durch ein Wunder.« Der Pressesprecher leuchtete mit dem Laserpointer auf eine Landkarte, zirkelte einen roten Kreis um Großpösna und sprach dabei weiter.
»Der Täter hatte Vanessa H. in einer Seitenstraße des Augustusplatzes beim Weihnachtsmarkt mit einem Messer bedroht, sie in sein Auto gezwungen, betäubt und später an einem noch unbekannten Ort gefesselt. Dann fuhr er mit dem Opfer im Kofferraum durch die Gegend. Nach Aussagen der jungen Frau gelang es ihr, während dieser Fahrt die Fesseln zu lösen, woraufhin sie den Kofferraum öffnen und herausspringen konnte …«
Das war ja ein richtiger Paukenschlag! Das gestelzte Behördendeutsch des Uniformierten da vorn gab die Dramatik des Geschehens nicht wirklich wieder. Neben ihr tippte ein Journalist schon die ganze Zeit hastig Kurznachrichten in sein Handy. Lara schrieb »herausspringen« und kringelte zwei dicke Fragezeichen hinter das Wort. Von einem »Sprung« konnte wohl kaum die Rede gewesen sein, wenn das Opfer im Kofferraum gelegen hatte. Obwohl sie ihr Diktiergerät immer mitlaufen ließ, schrieb sie alle wichtigen Informationen mit. Sicher war sicher. Manchmal funktionierte die Aufzeichnung nicht, oder die Batterien machen mittendrin schlapp. Sie sah kurz zu Jo, der auf dem Stuhl ganz an die Kante gerutscht war und gebannt nach vorn schaute, und konzentrierte sich dann wieder auf den Pressesprecher.
»Beim Aufprall auf die Straße wurde das Opfer verletzt. Noch ehe der Entführer wenden und zurückkommen konnte, hielt ein weiteres Fahrzeug und kümmerte sich um das Opfer.«
Das Fahrzeug hatte sich also um das Mädchen gekümmert. Lara unterdrückte ein Grinsen. Die kriegten manchmal gar nicht mit, was sie für einen Unsinn von sich gaben.
»Der Täter bemerkte dies, fuhr weiter und konnte entkommen. Bei seinem
Weitere Kostenlose Bücher