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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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sagen. Das darf ich nicht.«
    »Studer ist tot, Annemarie.«
    »Trotzdem. Würden Sie wollen, dass nach Ihrem Tod Ihre ganze Krankheitsgeschichte ausgeplaudert wird?« Schwester Annemarie sah hilfesuchend zu Lara, und die beeilte sich, ihr zu versichern, dass es vollkommen in Ordnung war, wenn sie schwieg. Jo versuchte es indessen anders.
    »Könnte Studer hier bei Ihnen anderen Patienten begegnet sein? Jemandem, den er vielleicht aus Obersprung kannte?«
    »Eher nicht. Wir haben zwei getrennte Eingänge und auch zwei Warteräume. Einige möchten nicht, dass noch jemand außer der Krankenkasse erfährt, dass sie zum Psychologen gehen.« Annemarie zuckte die Schultern und lächelte entschuldigend. »Wir richten uns da ganz nach den Patienten. Und wenn sie sich draußen auf der Straße getroffen haben, kann ich es nicht wissen.«
    »Verstehe.« Das schien eine Sackgasse zu sein. Laras Ansicht nach war es auch eher unwahrscheinlich, dass Studer seinen Komplizen hier getroffen hatte. Es musste jemand sein, den er schon vorher gekannt hatte.
    »Mark hat uns erzählt, dass er Geroldsens Vater aufgespürt hat. Wissen Sie etwas darüber?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Nicht so schlimm.« Lara versuchte, den Blick der Schwester zu erhaschen, und nickte ihr aufmunternd zu. Natürlich war es schlimm, schlimmer sogar, als sie alle dachten, aber Panik zu verbreiten, brachte sie nicht weiter. Und Jo war eindeutig zu streng mit der armen Frau. Die Sprechstundenhilfe musste sich ja wie in einem Verhör fühlen. »Wen könnten wir denn in der ganzen Angelegenheit noch um Rat fragen, haben Sie eine Idee?«
    Annemarie kratzte sich am Unterarm und schaute dabei an die Decke. Es dauerte einige Sekunden, dann richtete sie den Blick wieder auf Lara. »Vielleicht seine Kollegin in Obersprung? Mit ihr hat er sich oft beraten.«
    »Haben Sie eine Telefonnummer?« Jo zückte einen Stift.
    »Nein, aber ich weiß, wie sie heißt: Doktor Agnes French. Die Telefonnummer kriegen Sie bestimmt leicht heraus.« Lara beobachtete, wie Jo den Namen notierte.
    »Danke. Wir versuchen es dann gleich bei ihr. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte an.« Lara reichte ihr Kärtchen über den Tisch und versprach, Marks Sprechstundenhilfe ebenso über alle Neuigkeiten zu informieren.

45
    Lara öffnete die beiden oberen Knöpfe ihrer Jacke und atmete tief ein und aus in der Hoffnung, die feuchtkalte Luft möge das Sausen und Brummen in ihrem Schädel vertreiben. Seit gestern Abend taute es, und ihr Außenthermometer hatte heute früh acht Grad angezeigt. Mit den Händen in den Hosentaschen ging sie ein paar Schritte auf und ab. Auf der anderen Straßenseite rannten zwei kleine Jungs durch den Matsch. Ihre Stiefel verursachten schmatzende Geräusche, weißgraue Schneebatzen wurden von den wirbelnden Sohlen auf die Straße geschleudert, kleine Wasserfontänen spritzten nach allen Seiten. Zehn Meter hinter den beiden schritt die Mutter, ein breites Lächeln ob des kindlichen Übermuts ließ ihr Gesicht leuchten. Auch Lara lächelte, bis ihr einfiel, weswegen sie hier stand. Ein schneller Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon kurz nach zehn war.
    Wo blieb Jo? Sie hatten um zehn Uhr losfahren wollen, und er hasste es, zu spät zu kommen. Bis nach Potsdam würden sie mindestens zwei Stunden brauchen, auch wenn heute Sonnabend war und die Autobahn wahrscheinlich nicht so voll wie gestern sein würde. Marks Kollegin aus Obersprung, Frau Doktor French, war gestern nach einigem Zögern zu einem Gespräch bereit gewesen. Zuerst hatte sie irritiert und abweisend geklungen, aber das war auch kein Wunder, wenn man bedachte, mit welch kruder Geschichte man sie konfrontierte. Nach Laras weitschweifigen Erklärungen und Bitten hatte sie schließlich – ein bisschen widerwillig, wie es Lara vorgekommen war – nachgegeben. Sie müssten jedoch zu ihr kommen, hatte sie noch hinzugefügt, für irgendwelche Reisen fehle ihr die Zeit.
    Und so stand heute eine weitere Fahrt gen Norden auf dem Plan. Sie hätten besser daran getan, gestern gleich in Berlin zu bleiben, da aber weder Jo noch sie so vorausschauend gedacht hatten, Sachen für eine Übernachtung, alle Aufzeichnungen zu dem Fall und Laras unfertige Texte für die Tagespost mitzunehmen, waren sie nach einem vergeblichen Besuch im Obdachlosenheim Spatzennest zurück nach Leipzig gefahren. Magnus Geroldsens Vater sei nicht da, hatte die kleine dicke Leiterin ihnen erklärt und überhaupt – was denn jetzt

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