Das sechste Herz
hatte, und fuhr dann fort: »Könnte er Kontakt zu Geroldsen gehabt haben, bevor er ausgebrochen ist?«
»Das Gleiche hat mich Mark auch schon gefragt. Und ich gebe Ihnen die gleiche Antwort, die ich ihm gegeben habe. Sie lautet: Nein. Das Ganze ist ein Hirngespinst. Geroldsen hatte zu niemandem außer zu Doktor Solomon Kontakt.«
»Schade. Vielleicht denken Sie noch einmal über die Sache nach und rufen uns an, wenn Ihnen etwas einfällt?« Das Gleiche hatte er gestern zu Marks Sprechstundenhilfe gesagt. Sie fischten im Trüben.
»Ich glaube zwar nicht, dass ich noch etwas Erhellendes beitragen kann, aber gut. Und nun muss ich leider los. Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Agnes French zückte ihr Portemonnaie und winkte der Kellnerin. Eine Minute später war sie verschwunden.
»Ich finde, sie sieht dir ein bisschen ähnlich.« Jo kramte in seiner Geldbörse.
»Ich nicht.«
Jetzt sah er hoch. »Hoppla. Bist du wütend?«
»Sie war so … so zugeknöpft. Ich denke, sie ist Marks Freundin! Auf mich hat sie jedenfalls nicht den Eindruck gemacht. Oder wie fandest du das Gespräch?«
»Ein bisschen unterkühlt schon, da gebe ich dir recht. Mir kam es eher so vor, als wäre sie nur extrem vorsichtig. Und wenn sie nichts weiß, warum sollte sie dann spekulieren?«
»Die Frau ist eine Eislady. Was ist denn das für eine Kollegin!«
»Du vergisst, dass sie uns nichts zu Magnus Geroldsen sagen darf. Wie hieß noch mal der Typ, der ihn betreut?«
»Solomon.«
»Vielleicht sollten wir mal mit dem reden. Ich schlage vor, wir rufen am Montag in der Klinik an. Am Wochenende werden wir ihn kaum erreichen.«
»Montag, Montag! Und was machen wir in der Zwischenzeit? Dieser Vater von Geroldsen meldet sich auch nicht. Ich werde noch wahnsinnig. Ich darf gar nicht daran denken, wie es Marks Kindern jetzt ergeht. Ihr Vater sitzt als vermeintlicher Mörder in U-Haft. Die arme Joanna!« Auch Anna musste vor Sorge bald umkommen, aber das war Lara egal. Oder fast egal. Sie konnte den Gedanken einfach nicht loswerden, dass Marks Frau für ihre wilden Verdächtigungen gegenüber Lara ein klein wenig Strafe verdient hatte.
»Wenn du möchtest, fahren wir noch einmal nach Berlin rein und reden mit der Leiterin von diesem Obdachlosenheim. Es kann doch nicht verboten sein, uns Wulf Geroldsens Adresse zu geben. Wenn wir sie überreden können, sprechen wir mit dem Vater. Und dann machen wir uns auf den Rückweg und recherchieren zu diesem André Mann. Der läuft ja immer noch frei draußen herum. Ich wüsste zu gern, für welches Delikt er verurteilt wurde und was dazu geführt hat, dass er statt ins Gefängnis in den Maßregelvollzug eingewiesen wurde. Im Internet finden wir bestimmt etwas. Ich könnte auch die Datenbank der Tagespresse anzapfen.«
»Das klingt nach einem guten Plan.« Lara seufzte. »Ich würde zu gern mit Mark selbst sprechen. Der muss doch verrückt werden! Sitzt da drin fest und kann nichts tun!«
»Er hat ja uns.« Jo lächelte väterlich.
»Zwei taube Nüsse, die nichts gebacken kriegen!«
»Das ist ungerecht, und das weißt du. Wir tun, was wir können.«
»Ja, ja. Lass uns gehen.« Lara nahm ihre Tasche auf den Schoß, um das Diktiergerät auszuschalten. Im gleichen Moment vibrierte ihr Handy, und sie ließ die Tasche auf den Boden fallen. Noch ehe sie sie wieder aufgehoben hatte, war das Telefon verstummt. Es dauerte endlos erscheinende Sekunden, bis sie es ertastet und herausgeholt hatte. Auf dem Display stand »Praxis Mark«. Fast hätte Lara das Telefon fallen lassen, aber es gelang ihr in letzter Sekunde, es festzuhalten. Hastig drückte sie auf »Rückruf« und ignorierte die grimmigen Blicke der beiden älteren Damen vom Nachbartisch. Das Gespräch war wichtiger als die Etikette.
Die Stimme am anderen Ende klang aufgeregt. »Frau Birkenfeld? Hier ist Annemarie. Ich habe etwas gefunden.«
*
»Ich weiß, es ist Wochenende.« Annemarie warf die Tür ins Schloss und eilte Jo und Lara voraus ins Wartezimmer, wo sie vom Anmeldetresen zum Schrank und wieder zurück tigerte und dabei ohne Punkt und Komma redete. »Aber ich habe es einfach zu Hause nicht ausgehalten, mir ist die Decke auf den Kopf gefallen, da hat mein Mann gesagt, geh doch in die Praxis und räum dort ein bisschen auf, seit drei Stunden bin ich hier, zuerst habe ich die Akten geordnet und den Monatsabschluss vorbereitet, dann angefangen sauberzumachen …«
»Und dabei haben Sie dann etwas entdeckt«, unterbrach Lara den
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