Das sechste Herz
zusammenzufassen, und Lara beobachtete das Gesicht der Ärztin. Sie schien interessiert, wirkte aber dennoch unterkühlt. Hatte Mark nicht erzählt, er wäre schon seit Langem mit dieser Frau befreundet? Aber vielleicht hatte Agnes French auch nur Angst um ihren guten Ruf. Oder sie war grundsätzlich eine verschlossene Person.
»Deshalb hat er sich also dauernd bei mir nach Magnus Geroldsen erkundigt. Sein Interesse an diesem Patienten ist sogar schon unserem Klinikchef Dr. Dr. Solomon aufgefallen. Ich habe den Schlachter-Fall nur am Rande verfolgt, weil ich weder einen Fernseher noch viel Zeit für solche Dinge habe.«
»Mark ist davon überzeugt, dass die ganze Herzen-Sache mit Ihrem Patienten zu tun hat.«
»Er ist nicht mein Patient.«
»So meinte ich das auch gar nicht.« Jo spielte den Versöhnlichen. »Aber bei der Vorgeschichte von Geroldsen … So abwegig ist der Gedanke an einen Nachahmer oder Komplizen dann auch wieder nicht.« Agnes French goss sich Tee nach. Jo erklärte weiter. »Mark hat sogar den Vater von Magnus Geroldsen aufgespürt.«
»Das wissen Sie?«
»Er hat uns davon erzählt.«
»Mark muss Ihnen sehr vertrauen.«
»Das tut er.« Lara sah die Kellnerin erneut nahen und bestellte der Form halber einen Saft. Mark schien auch Agnes French ins Vertrauen gezogen zu haben. Wie sonst hätte sie wissen können, dass er mit Wulf Geroldsen gesprochen hatte?
»Doktor Grünthal hat uns gebeten, noch einmal mit dem Vater zu sprechen. Wir haben es gestern in diesem Obdachlosenheim versucht, in dem er gewohnt hat, aber er war nicht dort. Hat eine Sozialwohnung bekommen.«
»Was verspricht sich Mark davon?« Jetzt schien Agnes Frenchs Interesse erwacht zu sein. Sie hatte sich leicht nach vorn gebeugt, den Blick fest auf Jo geheftet.
»Er ist der Überzeugung, dass alles in Magnus Geroldsens Kindheit und Jugend begonnen hat.«
»Das ist ja interessant. Was Sie alles wissen … Mir hat Mark weisgemacht, er hätte ein persönliches Interesse an dem Fall. Und jetzt muss ich feststellen, dass er prompt alles an Sie weiterberichtet hat.«
»Wir haben früher schon zusammen ermittelt.« Lara hatte Mühe, ihren Unmut zu verbergen.
»Ermittelt?« Agnes French zog die exakt gezupften Brauen hoch. »Ist Ihnen klar, dass Mark in Teufels Küche kommt, wenn herauskommt, dass er Patienteninformationen nach draußen hat durchsickern lassen? Das könnte ihn seine Approbation kosten.«
»Das dürfte wohl im Augenblick sein geringstes Problem sein.«
»Da haben Sie auch wieder recht.« Die Augenbrauen rutschten wieder an Ort und Stelle. »Soweit ich informiert bin, konnte der Vater nichts zur Erhellung der Dinge beitragen.«
»Nun, zumindest eins hat Mark dabei von Geroldsens Vater erfahren: Magnus war schon als Jugendlicher in Therapie. Wenn wir wüssten, wer der damalige Therapeut war, könnten wir ihn dazu befragen.«
»Sie wissen aber auch alles. Ich bin überrascht.« An ihrem Gesicht konnte man das allerdings nicht sehen. Lara beschloss, dass sie die Ärztin nicht mochte.
Agnes French setzte die Tasse an, bemerkte, dass sie leer war, und stellte sie wieder auf den Untersetzer. »Ich bin der Meinung, das bringt nichts. Denken Sie wirklich, dass Sie dabei etwas Neues erfahren? Das Ganze muss mindestens zwölf, dreizehn Jahre her sein! Selbst wenn Sie den ehemaligen Therapeuten finden, wird der Ihnen keine Auskunft geben.«
»Kann schon sein, aber Mark hat uns darum gebeten, und deshalb werden wir uns um die Sache kümmern.«
»Sie sind ganz schön hartnäckig, wissen Sie das?« Lara war sich nicht ganz sicher, ob in den Worten der Ärztin Bewunderung oder Verärgerung mitschwang. Agnes French schaute auf ihr Smartphone, als wünsche sie sich, dass es endlich klingeln möge, aber das Handy tat ihr den Gefallen nicht.
»Eine Frage habe ich noch.« Jo klang ganz ruhig, und Lara bewunderte ihn dafür, dass er sich nicht aus der Reserve locken ließ. »Kennen Sie jemanden namens André Mann?«
»Bitte?« Ein kurzes Flackern in Agnes Frenchs Augen verriet Lara die Antwort. Natürlich musste sie Mann wenigstens dem Namen nach kennen. Laut Mark war der Typ erst vor Kurzem aus Obersprung entflohen.
»André Mann. Ein Maßregelvollzugspatient.«
»Wie kommen Sie denn jetzt auf den?« Die Ärztin trommelte mit den Fingern ein Stakkato auf die Tischplatte. »Ist das auch einer dieser Tipps von Mark?«
»Könnte man so sagen. Mann war doch auch in Obersprung, nicht?« Jo wartete, bis Agnes French genickt
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