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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Studer wirkte beschwingt. Er drückte Mark fest die Hand und nahm Platz. Er sah gesund aus, die Hautunreinheiten waren zurückgegangen, er hatte zugenommen, zitterte nicht mehr, der Blick war klar, er sprach deutlich und in logischen Zusammenhängen.
    »Wo waren Sie denn letzte Woche?« Mark sah dem Patienten fest in die Augen und prüfte dabei den Blickkontakt. Natürlich kannte er Studers Ausrede, die dieser einen Tag später telefonisch vorgebracht hatte, aber oft erzählte die Körpersprache eines Patienten das Gegenteil von dem, was er sagte.
    Während Frank Studer mit knappen Worten schilderte, dass er leichtes Fieber gehabt hatte und ihm zwei Tage lang übel gewesen war, konnte Mark keine Anzeichen für eine Lüge erkennen. Studer schloss mit den Worten: »Wahrscheinlich eine leichte Grippe.«
    »Waren Sie beim Arzt?«
    »Nein. Ich habe mir etwas aus der Apotheke geholt und das Wochenende im Bett verbracht.«
    »Ich hätte gern, dass Sie beim nächsten Mal einen Arzt aufsuchen. Manchmal kann auch etwas Ernsthaftes hinter unklaren Symptomen stecken.« Studer nickte eifrig zu Marks Worten. Er schien kooperativ zu sein, und Mark beschloss, es für heute bei der Ermahnung zu belassen.
    »Wie geht es Ihnen sonst?«
    »Bestens. Ich fühle mich gut.«
    Mühelos entspann sich ein Dialog, und eine Dreiviertelstunde später verabschiedete Mark Frank Studer mit dem Gefühl, dieser befinde sich auf einem guten Weg. Der Patient nahm seine Medikamente, mied alles, was ihn auch nur in die Nähe von Alkohol führen konnte, und besuchte regelmäßig seine Therapiegruppe.
    »Und nun auf ins Wochenende.« Die Familie hatte einen Ausflug zu mehreren historischen Weihnachtsmärkten in Berlin geplant. Mark zwinkerte Joannas schelmischem Gesicht auf dem Foto zu.
    Eigentlich hatte Anna die Tour geplant. Franz hasste Familienausflüge, egal wohin sie führten, und auch Mark war kein Fan von buntglitzernden Lamettabuden, Glühwein und Shoppingzwang.
    »Wie weit sind wir, Chef?« Annemarie steckte den Kopf zur Tür herein und unterbrach seine Gedanken.
    »Bin gleich so weit. Studer ist hinten raus. Du kannst Schluss machen.« Mitten in seine Worte hinein klingelte das Telefon, und Mark verdrehte die Augen. Als er den Namen im Display sah, verwandelte sich sein genervter Gesichtsausdruck jedoch in einen erfreuten, und er hob ab. »Lara, wie schön. Ich freue mich, deine Stimme zu hören.« Annemarie machte ihm ein Zeichen, dass sie draußen warten würde, und schloss die Tür.
    »Es ist leider kein Plauder-Anruf.« Lara klang kurzatmig. »Ich brauche deine Hilfe. Mal wieder.« Mark brummte ein »Hm« und unterdrückte die aufflackernde Enttäuschung, während er der Geschichte von dem Schreiben an die Tagespresse und Patrick Seilers Besuch auf dem Gelände des ehemaligen VEB Metallwaren Leipzig lauschte.
    »Ja, ich verstehe das alles. Aber was hat der Praktikant dort gefunden?«
    »Hast du es denn noch nicht in den Nachrichten gehört?« Jetzt hörte sie sich fast ein wenig schrill an. »Es war doch in allen Medien.« Marks Gesichtszüge erstarrten, als er Lara sagen hörte: »Drei Herzen. Tiefgefroren in Thermobehältern.«
    *
    Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein Wurm und ächzte und stöhnte, und alle Herzen umher fingen an zu zucken und zu pochen, daß es tönte wie in der Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fürchtete sich, und es wurde ihm ganz unheimlich zumute, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und klimmte, von Angst getrieben, die Felsenwand hinan, denn er hörte, daß Michel sich aufraffte, stampfte und tobte und ihm schreckliche Flüche nachschickte. Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu; ein schreckliches Gewitter zog auf, Blitze fielen links und rechts an ihm nieder und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten in dem Revier des Glasmännleins an.
    Sein Herz pochte freudig, und nur darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurück wie auf das Gewitter, das hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte. Er dachte an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet, er kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an Glasmännleins Hügel kam.
    Schatzhauser saß unter dem Tannenbaum und rauchte aus einer kleinen Pfeife, doch sah er munterer aus als zuvor. »Warum weinst du, Kohlenpeter?«, fragte er. »Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch das kalte in

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