Das sechste Herz
Tür, die nur angelehnt war. Anna und er wohnten in einem Einfamilienhaus aus den Sechzigern, das im Landhausstil eingerichtet war. »Man hat sie herausgeschnitten, als die Opfer noch lebten. Oder besser, mit dem Tod rangen.«
Lara sah, wie Jo den Mund öffnete, dann aber schwieg und nur den Kopf schüttelte. »Das kann man feststellen?«
»Du glaubst nicht, was die Rechtsmedizin heutzutage alles diagnostizieren kann.«
»Ich will mir das gar nicht näher ausmalen. Das bedeutet doch aber, dass es irgendwo drei Leichen geben muss, denen das Herz fehlt.« Sie sah Mark nicken und fuhr fort. »Und da nichts dergleichen gefunden wurde, denn das hätten die Medien mit Sicherheit spitzgekriegt, muss der Täter die Überreste gut versteckt haben.«
»Messerscharf geschlussfolgert.«
»Wo würdest du Leichenteile verstecken, die keiner finden soll?« Lara hörte ihre Frage und konnte es selbst nicht fassen, wie sie hier zu dritt gemütlich beisammensaßen und über das Herausschneiden von Herzen und das Beseitigen von Leichen fachsimpelten. Jo schien es ähnlich zu gehen. Seine Gesichtszüge waren maskenhaft starr, der Mund zeigte einen leicht angewiderten Ausdruck.
»Einfrieren ist eine gute Methode, entweder im Ganzen – was in unserem Fall mehrere große Kühltruhen voraussetzen würde – oder auch in Einzelstücken, wobei die Zerteilung nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, wie der Laie glaubt. Damit sind die Leichen zwar nicht für immer beseitigt, aber zumindest sicher aufbewahrt, ohne dass es zu Geruchsbelästigungen kommt. Erinnert euch bloß mal an den Fall mit den Todsünden im vergangenen Jahr. Wo hatte der Täter die Opfer zwischengelagert?« Mark wartete einen Augenblick und setzte hinzu: »Seht ihr. Es gibt aber noch verschiedene andere Möglichkeiten, die kaum Spuren hinterlassen, wenn man nicht genau weiß, wo und wie man suchen muss.«
»Was wäre das? Mir fehlt leider die kriminelle Fantasie für solche Denkspiele.« Jo atmete tief aus, nachdem er gesprochen hatte, und ließ dabei die Schultern herabsacken.
»Man könnte sie zerlegen und verfüttern. Schweine fressen alles.«
»Igitt.« Lara schauderte bei der Vorstellung, wie mehrere mächtige rosa Hausschweine ihre Nasen genüsslich in einen Trog voller Menschenfleisch steckten.
»Oder man kocht die Teile ein und bewahrt die Gläser im Keller auf. Man könnte sie sehr stark zerkleinern und in den Wald schaffen. Kleinste Reste finden immer ihre Abnehmer bei fleischfressenden Tieren. Alles schon mal da gewesen. Gewässer hingegen sind kein gutes Versteck. Oft vergessen die Täter, dass Leichengase die Teile aufblähen und die so wieder an die Oberfläche kommen. Auch vergraben ist nicht besonders tauglich, es gibt allerhand Wildtiere, die die vermeintliche Nahrung wittern und dann wieder ausbuddeln.«
»Zerteilen scheint auf jeden Fall immer gut zu sein. Woher weißt du das alles?« Jo hielt beim Sprechen den Kopf schief.
»Ich habe schließlich einige Jahre als Fallanalytiker gearbeitet. Man behält viele Fälle im Gedächtnis, auch Details. Nicht alles, was wir ermitteln, dringt an die Öffentlichkeit. Das muss euch als Information reichen.« Mark lächelte entschuldigend. »Was ich euch erzähle, sind bestätigte Fakten, die natürlich vertraulich sind, aber das hatte ich ja zu Beginn des Gesprächs schon gesagt.«
»Ich fasse zusammen.« Lara griff nach dem Kugelschreiber und schrieb Stichpunkte auf, während sie sprach. »Die drei Herzen wurden noch lebenden Opfern entnommen. Von denen bislang jede Spur fehlt.« Sie sah auf. »Gibt es Anhaltspunkte, ob die Organe von Frauen oder Männern stammen?«
»Das habe ich gar nicht gefragt. Aber ich kann das nachholen. Die DNA -Analyse lässt eindeutige Schlüsse auf das Geschlecht zu.«
»Und sie waren tiefgefroren.« Lara setzte einen Punkt hinter die letzte Notiz.
»Was für die Kühltruhenhypothese spricht.« Jo rieb sich den Nacken. »Können die Rechtsmediziner sagen, wie lange diese Herzen gefroren waren?«
»Das ist sehr schwierig.« Mark sah in Richtung Küche. Die Geräusche waren verstummt.
»Wurden sie fachgerecht entnommen?« Auch Lara blickte zur Tür. Lauschte Marks Frau? Wohl eher nicht, wenn man bedachte, was Anna vorhin über solche Diskussionen gesagt hatte.
»Ganz unerfahren scheint der Täter nicht gewesen zu sein. Die Organe wurden beim Heraustrennen jedenfalls nicht beschädigt. Entweder hat er fleißig geübt oder einen Beruf, bei dem man tierische Körper zerlegt
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