Das sechste Herz
unwirsch.
»Mit Jo. Er fährt. Also, bist du daheim?«
»Warum fragst du?«
»Jo und ich machen einen kleinen Sonntagsausflug. Und da dachten wir …«
»Ihr seid in Berlin?«
»Noch nicht, aber gleich. Wir wollen zu ›Gesichter der Renaissance‹. Da wir morgen wieder arbeiten müssen, blieb nur heute.«
»Soll toll sein.« Mark war wortkarg. Entweder hatte er schlechte Laune, oder die Nebengeräusche verliehen seiner Stimme einen verdrießlichen Touch. Möglicherweise passte es ihm auch nicht, dass Lara und Jo gemeinsame Ausflüge machten. Sie blickte durch das Beifahrerfenster auf die vorbeihuschenden Schatten der Kiefern. Die Idee war von Jo gekommen. Eine Spritztour in die Hauptstadt. Natürlich wollten sie sich die Ausstellung ansehen. Aber gleichzeitig war dies eine gute Gelegenheit, Mark zu besuchen. Lara hatte ihn seit mehreren Monaten immer nur telefonisch gesprochen, und mittlerweile hatte sich das diffuse Bedürfnis, ihn zu treffen, zu einer Art Sehnsucht ausgewachsen, die sie lieber nicht näher ergründen mochte. »Wir dachten, vielleicht hättest du Lust, dich nachher mit uns zu treffen.«
Eigentlich war es ihre Idee gewesen, aber Jo war sofort damit einverstanden gewesen. »Du willst wohl ein paar Fragen zu den Tiefkühlherzen loswerden?«, hatte er sie mit einem neckenden Unterton gefragt, und obwohl das nur einer der Gründe war, Mark zu treffen, hatte sie bejaht. Die Herzen waren ein guter Vorwand, schließlich hatte sie ja schon am Freitag bei Mark in der Praxis angerufen und ihn gebeten, sich ein bisschen umzuhören.
»Ich frag mal Anna. Bleib dran.« Das Telefon wurde mit einem leisen Klicken abgelegt, dann konnte man hören, wie sich eine Tür öffnete und Mark nach seiner Frau rief, bevor das Summen von Jos Honda alle weiteren Hintergrundgeräusche verschluckte.
»Will er nicht?« Jo sah kurz herüber, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete.
»Ich glaube schon. Aber er muss erst seine Frau fragen.« Marks Frau Anna konnte eigentlich nichts gegen das Treffen haben. Schließlich erschien die vermeintliche Nebenbuhlerin mit ihrem Freund.
»Oh. Verstehe.« Jo grinste.
»Lara?« Mark klang jetzt atemlos, so als wäre er gerannt. »Anna sagt, ihr könntet zum Kaffeetrinken zu uns kommen. Wann denkt ihr denn, dass ihr mit der Ausstellung durch seid?«
»Gegen drei?«
»Fein. Dann seid ihr halb vier hier. Wir freuen uns. Ruf kurz durch, wenn es später wird.« Er verabschiedete sich und legte auf.
»Es klappt also?« Jo legte ihr kurz die rechte Hand auf den Oberschenkel, und Lara spürte, wie sich die Hitze durch den Stoff brannte.
»Wir sollen zu ihnen kommen.«
»Zu Mark nach Hause?«
»Du sagst es.«
»Auch fein. Da war ich noch nie. Bin gespannt.« Jo verlangsamte die Geschwindigkeit und bog von der Stadtautobahn ab. »Noch zehn Minuten. Hoffentlich finden wir einen Parkplatz.«
»In den Parkhäusern ist immer was frei. Teuer zwar, aber relativ sicher.« Lara dachte an Anna und ihre Eifersucht. Es musste einen Grund geben, wieso sie Jo und Lara zu sich nach Hause eingeladen hatte. Vielleicht wollte sie ihnen ein bisschen auf den Zahn fühlen. Vielleicht wollte sie auch sehen, was für ein schönes Pärchen die beiden abgaben.
»Gibt es denn schon Angaben, woher diese Herzen stammen?« Lara sprach leise. Sie konnte Anna in der Küche rumoren hören. Marks Frau war sehr nett und aufmerksam gewesen, hatte sie und Jo ab und zu verstohlen gemustert und dabei einen irgendwie erleichterten Eindruck gemacht. Nach dem Kaffeetrinken hatte sie kundgetan, sich zurückziehen zu wollen, weil sie nicht bei der »Besprechung« stören wollte und ihr Morde und ähnliche Themen schlaflose Nächte bereiteten.
»Es wurden noch keine Opfer gefunden, wenn du das meinst.« Mark wischte ein paar Krümel von der Tischdecke in die hohle Hand. »Keine Leichen, denen das Herz entfernt wurde, nichts.«
»Könnte er die Herzen von Toten haben?«
»Du meinst vom Friedhof?«
»Aus einem Sarg, von einem frisch Begrabenen zum Beispiel. Möglich wäre so etwas doch?«
»Wenn der Täter nachts agiert, anschließend den Sarg erneut an Ort und Stelle versenkt und die Grabstelle wieder herrichtet, sicher. So etwas hat es schon gegeben, auch in Deutschland. Meist erfährt die Öffentlichkeit nichts davon. Man geht davon aus, dass es auf dem Gebiet der Leichenschändung ein größeres Dunkelfeld gibt. Aber die Herzen wurden nicht von Toten entnommen.« Mark murmelte jetzt fast und sah dabei zur
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