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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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deiner Brust?«
    »Ach, Herr!«, seufzte Peter, »als ich noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie, meine Augen waren so trocken als das Land im Juli; jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wißt es ja selbst – wie meine Peitsche auf ihre schöne Stirne fiel!«
    »Peter! Du warst ein großer Sünder!«, sprach das Männlein. »Das Geld und der Müßiggang haben dich verderbt, bis dein Herz zu Stein wurde, nicht Freud, nicht Leid, keine Reue, kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue versöhnt, und wenn ich nur wüßte, daß dir dein Leben recht leid tut, so könnte ich schon noch was für dich tun.«
    Langsam ließ er das Buch sinken und blickte auf. Für ein paar Sekunden herrschte atemlose Stille, dann begann einer zu klatschen, und schnell fielen die anderen ein. Ihre Gesichter waren gerötet, der jungen Frau drei Plätze links von ihm rollte eine Träne übers Gesicht.
    »Das war toll!« Rolf war aufgestanden. Jetzt drehte er sich zu den anderen. »Frank hat sehr schön vorgelesen, findet ihr nicht auch?« Der Beifall verstärkte sich kurz und ebbte dann ab. »Ich fand besonders die Erkenntnis am Schluss schön.« Rolf ließ seinen unförmigen Körper auf den Stuhl zurückplumpsen.
    Natürlich fanden alle den Schluss schön. Heile Welt und so. Alles wurde gut, wenn man nur von Herzen bereute. Von Herzen! Frank Studer verwandelte sein verächtliches Grinsen in ein schüchternes Lächeln, während vor seinem inneren Auge ein faustgroßer rotbrauner Klumpen mit Eiskristallen an den Rändern auftauchte.
    Dass diese Wracks so auf Märchen abfuhren! Vielleicht erinnerte sie der Text an ihre glückliche Kindheit, so sie denn eine gehabt hatten, vielleicht weckten die verschnörkelten Phrasen verloren geglaubte Erinnerungen an eine bessere Welt. Frank hatte keine Ahnung, und es interessierte ihn auch, ehrlich gesagt, nicht. Was ihn faszinierte, war die Reaktion der Leute auf die Herz-Metaphern in der Geschichte. Und wer hätte sich besser dafür geeignet als all diese zerstörten Existenzen, die täglich zähneknirschend mit ihrer Gier nach Alkohol rangen?
    Er ließ seinen Körper auf dem harten Stuhl zusammensacken und beobachtete, wie sich die junge Frau – Lisa hieß sie – die Tränen mit dem Handrücken abwischte. Zum Glück hatte er das alles längst hinter sich. Er war geheilt, die Lust auf Alkohol verflogen, verschwunden, als wäre sie nie da gewesen, der Stimme sei Dank.
    Die Entscheidung, das Märchenbuch mit in die Gruppe zu nehmen und zu testen, wie die anderen seine Lieblingsgeschichte fanden, hatte er jedoch ganz allein getroffen. Nur kurz hatte Frank Studer darüber nachgedacht, ob es richtig gewesen war, so explizit auf das Herz-Thema hinzuweisen, nachdem seit drei Tagen die ganze Republik davon erfüllt war, die Zweifel aber sofort wieder verworfen. Die hier waren allesamt zu blöd, um Bezüge herzustellen. Ihre Gehirne funktionierten nicht mehr richtig, waren vom Sprit zerfressen.
    »Ich kenne die Geschichte! Es gibt einen Film davon! Das Wirtshaus im Spessart heißt er.« Hektisch fuchtelte der Dünne neben Rolf mit den Armen. Anscheinend hatte Hauffs Märchen einen Nerv bei ihm getroffen.
    »Wirtshaus – wenn das nicht makaber ist!«, murmelte der Alte neben Frank.
    »Magst du uns sagen, was dich daran fasziniert?« Rolf hatte seinen massigen Körper aufgerichtet. Seine Schweinsäuglein fixierten Frank.
    Er würde ein bisschen herumschwafeln müssen, damit sie zufriedengestellt wurden. Von der Stimme des Herzens, von denen, die ihr Herz verloren, von Herzenswärme und Herzschmerz.
    Die kleine Lisa mit den Puppenaugen hing an seinen Lippen, und Frank zwinkerte ihr kurz zu. Während seine Zunge schwülstige Gleichnisse formulierte, befasste sich sein Gehirn mit der Beschaffung weiterer Spender. Die Stimme hatte sich zwar noch nicht wieder gemeldet, um ihm mitzuteilen, was er mit dem nächsten Herz machen sollte, aber ein wenig Eigeninitiative konnte nicht schaden. Sicher stieß sein Vorhaben, einen Vorrat an Herzen anzulegen, auf Begeisterung.

13
    »Bist du heute Nachmittag zu Hause?« Lara drückte den Hörer ans Ohr und lächelte, bis ihr Blick auf den Tacho fiel und das Lächeln erstarb. Der Zeiger zitterte um die Zweihundert herum. »Fahr bitte etwas langsamer.« Sie berührte Jo kurz am Arm, und der bremste leicht.
    »Mit wem redest du?« Marks Brummen klang

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