Das sechste Herz
erreichen, wird er sicher nicht so ohne Weiteres damit aufhören.«
»Das ist schrecklich.« Lara sah nach draußen. Das trübe Grau des Himmels verstärkte ihre Vorahnungen. Es würde noch schlimmer kommen.
*
Frank Studer ließ das Licht ausgeschaltet, tastete sich zum Lehnstuhl, setzte sich und legte den Kopf an die Rücklehne. Dann schloss er die Augen und lauschte in sich hinein. Er musste nachdenken. Die Stimme hatte sich seit Mittwochnacht nicht wieder gemeldet, und er wurde allmählich unruhig. Das Wochenende stand vor der Tür, und es gab keine Anweisungen. Behutsam hob er die rechte Hand und betastete vorsichtig den Buckel unter den Haaren auf seinem Hinterkopf. Die Elektroden waren an Ort und Stelle, daran konnte es nicht liegen.
Manchmal erreichte ihn die Stimme direkt in seinem Kopf, manchmal auch über das Handy. Er wusste vorher nie, wie der Kontakt hergestellt werden würde.
Vielleicht schwieg die Stimme, weil sie das Projekt nicht gefährden wollte? Frank erhob sich leise, ging zum Fenster und spähte hinaus. Da draußen schlich diese Tussi aus der Therapiegruppe umher – wie hieß sie noch gleich? Lisa. Solange die kleine Zicke auf dem Grundstück herumspionierte, konnte er nichts Sinnvolles tun. Frank dachte an den Häcksler und die Motorsäge in der Garage und kratzte sich am Kinn. Er hatte gehofft, die Stimme danach fragen zu können, wie er mit Lisa verfahren sollte. Allein fühlte er sich hilflos. Was, wenn die ungebetene Schnüfflerin etwas fand? Wenn sie ihm jetzt dauernd auf den Fersen sein würde? Warum tat sie das überhaupt? Hatte jemand sie auf ihn angesetzt? Frank tappte zurück zum Lehnstuhl, machte wieder kehrt und ging in die Küche. Von hier aus konnte man den rückwärtigen Bereich bis hin zu der Fichtenhecke gut überblicken. Es war nicht ganz finster, und seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Er hielt die Luft an, starrte hinaus und ließ den Blick wie einen Suchscheinwerfer von links nach rechts gleiten.
Als ob er nicht bemerkt hätte, dass ihm dieses Mädchen mit ihrer kleinen Mistkarre nachgefahren war! Schon am Mittwoch hatte er Mühe gehabt, sie abzuhängen. Als ihm kurz vor der Endhaltestelle aufgefallen war, dass der rostige Fiesta schon die ganze Zeit hinter der Straßenbahn herfuhr, war es fast zu spät gewesen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ihm das kleine Luder bis in den Park gefolgt wäre! Zum Glück war es ihm gelungen, Lisa auf dem Weg dorthin abzuhängen.
Unter den Fichten im hinteren Teil des Gartens bewegte sich etwas. Frank kniff die Lider zusammen und fixierte den Bereich. Ein kleines Tier schnüffelte im Laub herum.
Das Ganze wurde allmählich gefährlich. Die Stimme hatte ihn vor den Häschern gewarnt. Jederzeit könnten sie auf ihn aufmerksam werden und Leute auf ihn ansetzen, hatte sie gesagt. Und dass er wachsam sein müsse, immer, bei allem, was er tat. Und Frank Studer war wachsam gewesen, oh ja! Er hatte die Observation rechtzeitig bemerkt. Vielleicht war es auch eine Prüfung der Stimme, die kontrollieren wollte, ob er ihren Anweisungen Folge leistete. Vielleicht aber auch nicht.
Um herauszufinden, was gespielt wurde, hatte Frank sich deshalb ein Herz gefasst und Lisa vorhin angesprochen. Leider war das Gespräch nicht sehr ergiebig gewesen. Das Auto ihres Bruders! Er prustete verächtlich. Lügen über Lügen. Die kleine Schlange hatte nichts von ihren wahren Absichten preisgegeben. Stattdessen war sie ihm erneut nachgefahren. Den ganzen Weg zu Großvaters Grundstück über hatte Frank überlegt, was er tun sollte. Einfach in der Gegend herumkutschieren, bis sie es leid war, ihm zu folgen? Unterwegs irgendwo einkehren und sie da draußen in der Kälte in ihrem Auto verdorren lassen? Umkehren und zurück zu seiner Wohnung fahren?
Schließlich war ihm nichts Besseres eingefallen, als das Auto in die Garage zu stellen, das Tor zu schließen und sich dann über den Nebeneingang ins Haus zu schleichen. Bis zur Eingangstür würde sie ihm bestimmt nicht nachkommen, und er hoffte, dass sie ihre Beschattung aufgab und verschwand, wenn nichts Aufregendes mehr geschah. Langsam ging er ins Wohnzimmer zurück und schaute einige Minuten nach draußen, aber auch hier war niemand zu sehen. Entweder war sie endlich weg, oder sie lauerte noch irgendwo im Dunkeln, wartete, ob er wieder herauskam.
Das Ganze war ein Fehler gewesen, wie ihm inzwischen klar geworden war. Die Schnepfe wusste jetzt, dass er ein Haus mit einem
Weitere Kostenlose Bücher