Das sechste Herz
bleibt einfach hängen.«
Jens hatte recht, aber das änderte nichts an Laras Unzufriedenheit. Sie beschloss, sich nicht weiter darüber aufzuregen. »Ich habe übrigens weitere Informationen, die noch nicht nach außen gedrungen sind.«
»Was ist es?« Jens’ Augen funkelten jetzt stärker.
»In dem Thermobehälter von gestern war nicht nur ein gefrorenes Herz.« Sie wartete ein paar Sekunden, kostete den Moment der Spannung aus und beobachtete, wie Jens Hohnstein vor Aufregung zu zappeln begann.
»Ein Brief war darin, ein Schreiben, das nur vom Täter sein kann.«
»Was … weißt du auch, was darin stand?«
»Sinngemäß. Dass Magnus Geroldsen unschuldig sei und man mit diesen Herzen darauf aufmerksam machen wolle. Dass man eigentlich schon beim ersten Fund Zweifel an seinen damaligen Taten erwartet hätte. Man solle ihn sofort rehabilitieren, sonst gäbe es weitere Opfer.«
»Das ist hochinteressant.« Jens kratzte sich hinter dem Ohr. »Klingt nicht nach einem Nachahmungstäter, eher nach einem Bewunderer. Es ist doch wohl unstrittig, dass Geroldsen damals der Täter war?«
»Glaube schon. Um mich zu vergewissern, habe ich inzwischen mit meinem Freund Mark Grünthal telefoniert. Er war damals mit dem Fall befasst. Wir hatten neulich, als Jo dabei war, schon über die Sache mit dem Komplizen gesprochen. Vielleicht ist es jemand, der auch im Maßregelvollzug war und Kontakt mit Geroldsen hatte. Mark geht doch in Obersprung ein und aus. Auch wenn er dort nichts mit Magnus Geroldsen zu tun hat, unauffällig nachfragen kann er sicher, ohne dass er sein Berufsethos verletzt.«
»Und, wird er sich umhören?«
»Er hat gesagt, er ist frühestens Dienstag wieder dort. Dann will er ein paar Erkundigungen einholen.«
»Super. Das wird spannend.« Jens rieb die Handflächen aneinander. »War der Text mit der Hand geschrieben?«
»Mit dem Computer, sagt Hubert. Das hilft der Kripo gar nicht. Für Ermittlungen bräuchte man eine Vergleichsprobe vom Drucker. Oder Fingerabdrücke von den potenziellen Tätern, sofern sie das Papier angefasst haben. Der Brief war übrigens in der Mehrzahl verfasst.«
»Das muss nichts heißen. Bekennerbriefe sind oft in der Wir-Form geschrieben, um die Polizei in die Irre zu führen.«
Lara nickte, und Jens fuhr fort. »Du hast vorhin gesagt, du hättest ›zusätzliche Informationen‹. Information en – Mehrzahl, Lara.« Er zwinkerte, und sie musste lachen. Obwohl Jens Hohnstein ein bisschen wie Inspektor Columbo aussah, war er stets hellwach. »Du hast ja ganz genau zugehört. Die Spurensicherung hat auf dem Gelände des VEB Metallwaren Kameras gefunden. Sie waren an verschiedenen Stellen versteckt, im oberen Stockwerk des Fabrikgebäudes und in den Bäumen auf dem Grundstück, befestigt mit Paketband. Darüber ist allerdings Stillschweigen vereinbart worden. Von mir hast du das also nicht, und schreiben kann ich es auch nicht.« Jens nickte und öffnete den Mund, um etwas zu fragen, aber Lara redete schon weiter.
»Speichermedien waren nicht darin. Entweder hat man sie später entfernt, oder es handelte sich um Online-Kameras, die die Aufnahmen in Echtzeit irgendwohin gesendet haben. Das weiß ich leider nicht.«
»Also wollte der Täter aus sicherer Entfernung beobachten, wie und von wem die Herzen in den Behältern gefunden wurden.«
»Wahrscheinlich hat er eine Armada von Presseleuten, Radioreporten und Fernsehjournalisten erwartet und war enttäuscht, als nur Patrick Seiler mit dem Fahrrad dort aufkreuzte.« Lara strich mit dem Zeigefinger über die feinen Wassertröpfchen an der Außenseite ihres Glases.
»Ob in dem Park auch Kameras installiert waren?«
»Ich halte es für möglich, weiß es aber nicht. Patrick hat nicht darauf geachtet, weil er davon nichts wusste, und die Kripo rückt keine Informationen raus. Man könnte Jo bitten, die Fotos noch einmal daraufhin durchzusehen.« Lara kramte nach ihrem Notizbuch und schrieb sich den Gedanken auf. Jens’ nächste Worte ließen sie aufblicken.
»Man müsste beim nächsten Brief von Anfang an auf so etwas achten.«
»Du glaubst, dass es noch ein tiefgefrorenes Herz geben wird?«
»Ich denke nicht, dass das Ganze schon vorbei ist. Was ist, wenn der Täter tatsächlich Geroldsens Rehabilitation erwartet? Was wären seine nächsten Schritte, wenn dies nicht geschieht? Und es wird nicht geschehen, so viel ist sicher. Wenn es das Ziel des Schlachters ist, Geroldsens Unschuld zu beweisen und dessen Freilassung zu
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