Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
Vom Netzwerk:
wurden allmählich kalt.
    »Ich schieße noch ein paar Fotos für deine Artikelserie, dann machen wir uns auf den Weg zur Stiftung Bärenherz.« Schon stampfte er davon. Lara sah ihm nach und krümmte die Finger in den Handschuhen. Ein großer schwarzer Vogel segelte über ihren Kopf hinweg und ließ sich in einem der Bäume nieder. Das Blau des Morgenhimmels kam ihr heute unnatürlich vor, fast schon violett. Jo war hinter dem Palmenhaus verschwunden, und während sie darauf wartete, dass er wieder hervorkam, dachte Lara darüber nach, was das mit ihm noch werden sollte und ob eine richtige Beziehung überhaupt eine Chance hatte.
    »Das ist ja kaum zum Aushalten.« Jo wickelte seinen Schal ab und warf ihn auf den Rücksitz. »Stell dir vor, dein Kind ist unheilbar krank, du weißt, dass es sterben muss, und wartest nur auf den Zeitpunkt.«
    »Ich denke die ganze Zeit daran.« Lara schniefte und verstaute die Bärenherz-Broschüre in ihrer Umhängetasche. Jo und sie hatten auf dem Weg vom Palmenhaus hinüber zu dem zweistöckigen Flachbau inmitten alter Bäume ausgemacht, die wahren Gründe ihres Besuches nicht preiszugeben, und stattdessen eine geplante Recherche über die Stiftung vorgeschoben. Sie hatten mit der Pflegedienstleiterin gesprochen und das Spielzimmer und den Aufenthaltsraum besichtigt. Das Kinderhospiz in Leipzig existierte seit 2002. Es gab einen ambulanten und einen stationären Bereich mit zwölf Kinderzimmern und fünf Elternwohnungen.
    Der Anlasser von Jos Honda röchelte und erstarb dann. »Das fehlte noch …« Er probierte es erneut. Beim vierten Versuch sprang der Motor mit einem Husten an, und Jo seufzte. »Die Kiste macht es nicht mehr lang. Ich werde wohl demnächst etwas Neues brauchen.«
    »Hast du was zu trinken hier?« Lara kämpfte noch immer mit den Tränen.
    »Warte.« Jo stieg aus, ging zum Kofferraum und kam mit einer Flasche Mineralwasser zurück.
    »Trink langsam, das Zeug ist ziemlich kalt.« Er sah zu ihr herüber und rieb die Handflächen aneinander. »Ich finde die Wahl dieses Ortes durch den Täter ziemlich makaber. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Wahrscheinlich hat er sich nicht getraut, den Thermobehälter beim Kinderhospiz abzulegen, weil dort immer jemand da ist, und hat stattdessen das benachbarte Palmenhaus gewählt.«
    Lara schluckte. Das eisige Wasser brannte auf ihrer Zunge und in ihrer Kehle und verdrängte gleichzeitig die herzzerreißenden Bilder von sterbenden Kindern. Jo hatte recht. »Makaber« war noch viel zu maßvoll ausgedrückt.
    »Todkranke Kinder und herausgeschnittene Herzen …« Der Honda schlingerte um die Kurve, während Jo seine Gedanken weiterspann. »Ob es etwas damit zu tun hat, dass dieser Geroldsen auch Kinder geschlachtet hat? Seine Geschwister waren doch alle jünger als er, nicht?«
    »Dreizehn, neun und sechs.« Lara schraubte die Flasche zu und klemmte sie zwischen Sitz und Mittelkonsole. »Ich glaube, das ist zu weit hergeholt, Jo.«
    »Könnte sein. Wahrscheinlich hat der Täter lediglich nach einer für seine Zwecke passenden Bezeichnung gesucht und ist dabei auf diese Stiftung gestoßen.« Im Radio knirschte und knackte es, und Jo drehte, ohne die Geschwindigkeit zu reduzieren, an den Knöpfen.
    »Hast du wieder deinen Frequenzscanner an?«
    »Der läuft immer mit.« Jo zog den rechten Mundwinkel nach oben und deutete auf die Ablage unter dem Radio. »Meistens kommt nur Mist rein.« Er lenkte mit der Linken. »Wohin jetzt?«
    »Bring mich bitte nach Hause. Ich habe einiges aufzuarbeiten.« Allmählich erwärmte sich die Luft, die aus den Düsen ins Wageninnere strömte, und Lara spürte, wie es in ihren Füßen zu kribbeln begann.
    »Alles klar.« Jo beschleunigte. »Ich fahre danach in die Redaktion und schau mal, was es zu tun gibt. Vielleicht kann ich mit Patrick noch einmal über die Fotos vom Palmenhaus reden.« Wieder knisterte es aus den Lautsprechern, dann knarzte eine Stimme, immer wieder unterbrochen von atmosphärischen Störungen. »An alle Einheiten … KDD und Spusi … Eutritzsch … Wittenberger Straße … Nähe Hauptbahnhof …«
    »Kriminaldauerdienst und Spurensicherung, das klingt interessant.« Jo bremste jählings und fuhr an den Straßenrand. Der BMW -Fahrer hinter ihm hupte und zeigte im Vorbeifahren den Mittelfinger.
    »Lackaffe!« Die Handbremse ratschte nach oben, und Jo griff nach seinem Smartphone und tippte darauf herum. Lara hörte ihn scharf einatmen. »Verfluchte … Schau mal hier.«
    Er

Weitere Kostenlose Bücher