Das sechste Herz
rotes Licht.
Sie dachte an den gestrigen Abend und Jos Entdeckung. Er hatte im Internet nach Parkmöglichkeiten für den Ausflug am nächsten Morgen recherchiert und sich die Luftaufnahmen des Geländes angesehen. Und dabei war es ihm aufgefallen.
In Lara kroch erneut die Aufregung nach oben, als sie sich an die Satellitenaufnahme auf dem Bildschirm erinnerte: links unten die blaue Ecke des Cospudener Sees mit dem Strandbad Nord, in der Mitte des Bildes das dunkelgrüne Oval einer Grünanlage, darin eine der Google-Maps-typischen roten Sprechblasen, die Lara immer an Luftballons erinnerten. Unter der Sprechblase mit dem »A« stand »Kees’scher Park«. Deutlich waren die hellen Linien der Wege und das weiße Quadrat des Palmenhauses zu erkennen. Links von dem »A« fanden sich zwei weitere dieser »Luftballons« mit den Buchstaben B und C, die sich gegenseitig ein wenig überdeckten.
Jo hatte mit der Maus auf »C« gezeigt, und ein viereckiges Fenster war aufgepoppt, in dem Kinderhospiz Bärenherz und darunter »Bärenherz Leipzig e.V.« standen. »Siehst du, was ich sehe?«, hatte er gefragt und mit gerötetem Gesicht zu ihr hochgeschaut.
Lara löste ihre Hand von dem Griff über der Beifahrertür. Jo fuhr wie immer zu schnell. Meist war ihm das Glück jedoch hold, und wenn er trotzdem geblitzt wurde, zahlte er die Geldbuße, ohne zu murren. Selbstverständlich hatte sie gesehen, was er meinte.
Bärenherz .
Der Thermobehälter mit dem vierten Herz war nicht zufällig in den Kees’schen Park gelangt, der Täter hatte den Ablageort sorgsam ausgewählt. Es gab eine Verbindung.
Natürlich hatte Lara nach dieser abendlichen Entdeckung nicht einfach so heimfahren können, wie sie es sich noch fünf Minuten vorher vorgenommen hatte. Am nächsten Morgen würden Jo und sie nicht nur nach einer möglichen Kamera im Gesträuch neben dem Palmenhaus Ausschau halten, sondern auch die Stiftung Bärenherz aufsuchen, so viel stand fest, ohne dass sie darüber reden mussten.
Sie dachte an Jos warmen Körper neben ihrem. Nachdem sie noch ein wenig im Netz nach der Stiftung Bärenherz gegoogelt und die möglichen Konsequenzen diskutiert hatten, war Jo in die Küche marschiert und hatte einen Rotwein geöffnet. Zwei Flaschen Dornfelder später waren sie gegen zwei Uhr ins Bett gefallen und auf der Stelle eingeschlafen. Laras Kopf ruckte nach vorn, als Jo bremste. Auf dem Straßenschild stand »Pfarrgasse«. Sie waren angekommen.
»Zuerst zum Palmenhaus?« Jo prüfte seine Kameraausrüstung und stieg aus. Lara antwortete nicht auf die rhetorische Frage. Kalter Wind biss in die nackte Haut an ihrem Hals, und sie zog den Reißverschluss nach oben. Der Himmel hatte inzwischen eine flaschengrüne Farbe angenommen. Ohne auf sie zu warten, marschierte Jo drauflos, und sie beeilte sich, ihm zu folgen. Die Temperaturen waren über Nacht wieder in den Minusbereich gefallen.
»Wir nehmen den gleichen Weg wie Patrick.« Jo sah sich nach ihr um. »Da haben wir dieselbe Sichtachse wie auf den Fotos.« Er lief voran, als ginge es um Sekunden, wobei er vor sich hin murmelte. »Palmenhaus links, dunkler Kasten rechts.« Endlich hatte Lara zu ihm aufgeschlossen. Vor ihnen tauchte der helle Kubus auf.
»Da wären wir.« Noch im Gehen nahm Jo die Kamera vors Auge, zoomte in die Sträucher rechts des Gebäudes und schwenkte den Apparat hin und her. Schließlich blieb er stehen, ließ das Gerät herabsinken, sodass es vor seiner Brust baumelte, und sah zu Lara. »Da ist nichts. Kein Nistkasten, keine Kamera. Wir können gern noch einmal rundherum gehen, aber ich denke, wir werden auch dann nichts finden.«
»Entweder war das auf dem Foto ein rechteckiger Schatten, oder die Kamera wurde entfernt.« Lara zog einen Flunsch. »Vom Täter oder von der Polizei.«
»Ich glaube nicht, dass es der Täter war. Erstens hätte er dann, nachdem Patrick Seiler die Fotos gemacht hat, noch vor Ort sein müssen. Und wir wissen, dass wenige Minuten nach Patrick schon die Kripo hier aufgekreuzt ist. Zweitens hat er die Kameras auf dem Fabrikgelände auch an Ort und Stelle gelassen. Warum sollte er die dann hier abbauen?«
»Es könnte auch sein, dass die Kripo das Ding übersehen und der Täter es später abgeholt hat.«
»Könnte sein, glaube ich aber nicht. Die Spurensicherung war lange vor Ort und hat alles akribisch abgesucht. Vielleicht war es doch ein Fehler auf dem Bild.«
»Wo du recht hast, hast du recht.« Lara trampelte auf der Stelle. Ihre Füße
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