Das sechste Herz
eine Tasche vom Türhaken. Für die da draußen musste klar sein, was passiert war: Der Observierte hatte vergessen einzukaufen und festgestellt, dass noch Zeit war, das Versäumte nachzuholen. Auf dem Weg zur Tür schlüpfte Frank in seine wattierte Jacke. Er würde nur schnell ein paar Lebensmittel holen.
Das Licht ließ er an, das Garagentor offen. Zeichen, dass er gleich zurück sein würde. Der alte Audi hustete asthmatisch, ehe er ansprang. Im Licht der Scheinwerfer vermeinte Frank, eine Gestalt beiseitehuschen zu sehen, aber womöglich trog ihn auch das Wunschdenken. Langsam fuhr er auf den Weg hinaus.
Würde Lisa tun, was er hoffte? Er konnte ihre Gedanken in seinem Kopf sehen. Die Gelegenheit war einmalig. Ihr Beobachtungsobjekt hatte das Licht brennen und die Garage offen gelassen, was bedeutete, dass er nicht lange weg sein würde. Die Verlockung musste übermächtig sein. Sie konnte seine Abwesenheit nutzen und ein wenig herumschnüffeln. Seine Rückkehr würde sich durch das Geräusch des Autos ankündigen, dann konnte sie schnell verschwinden.
»Wenn du dich da mal nicht täuschst, mein Täubchen.« Frank schaltete die Scheinwerfer aus und ließ den Wagen in einen Waldweg rollen. Unter den Fichten würde er in der Dunkelheit kaum zu sehen sein. Die Finger in den Jackentaschen betasteten das Werkzeug, während er schnellen Schrittes zurückhastete. Er kannte hier jeden Stein und jede Wurzel. Obwohl es ziemlich finster war, brauchte er nur wenige Minuten, um zum Grundstück zurückzugelangen. Während er sich bemühte, sein Keuchen zu unterdrücken, schlich er am Zaun entlang und spähte in Richtung der Garage, die wie ein Leuchtfeuer die Nacht erhellte. Lisa war nirgends zu sehen. Auch ihre kleine Mistkarre nicht. Wer weiß, wo sie die Klapperkiste versteckt hatte. Aber auch, wenn ihr Auto nicht zu sehen war, wusste Frank, dass sie noch da war. Die Möchtegern-Mata-Hari war anwesend und spionierte im Haus herum.
Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, näherte er sich dem Garageneingang. Eigentlich bestand keine Gefahr, dass sie ihn zu früh erblickte. Schaute man vom Hellen ins Dunkle, konnte man nichts erkennen. Er dagegen hatte einen perfekten Blick auf die erleuchteten Räume. Alles da drin präsentierte sich dem interessierten Zuschauer wie in einem Theaterstück.
Sein Atmen beschleunigte sich, als er sie sah. Wie von selbst zogen sich die Mundwinkel nach oben, während sich die linke Hand fester um die Drahtrolle krampfte. Die kleine Lisa schlich mit weit aufgerissenen Augen durch seine Küche und blieb nach jedem Schritt stehen, um zu lauschen. Ihr Blick glitt durch den Raum, als wolle sie sich alles genau einprägen. Ab und zu schaute sie hektisch zum Fenster, ehe sie weiterging. Frank grinste stärker und rollte den kleinen Stein, der durch die Körperwärme schon ganz warm geworden war, zwischen den Fingern hin und her. Gleich würde die kleine Kröte einen gehörigen Schrecken bekommen. Er unterdrückte ein Kichern und schleuderte das Steinchen gegen die Scheibe.
Lisa erstarrte fast augenblicklich. Gehetzt flog ihr Blick zum Fenster, irrlichterte wild umher, dann duckte sie sich; nur um sich gleich wieder aufzurichten und auf Zehenspitzen zur Tür zu huschen. Kurz davor machte sie Halt, sah sich noch einmal suchend um und drückte die Klinke mit dem Zeigefinger herunter.
Er konnte die Angst in ihrem Gesicht sehen. Das hier war besser als alles, was er bisher erlebt hatte. Frank konnte sich lebhaft vorstellen, wie Lisas Herz wie ein gefangener Vogel in Todesangst in der Brust herumzappelte. Er ging in Richtung Garagentor. Und schon bald würde er sich das Ganze in echt anschauen.
Jetzt konnte er hören, wie sie die Stufen herabstolperte und näher kam. Noch ein paar Schritte, dann würde sie aus dem Licht in die Nacht hinaustreten und für ein paar kostbare Augenblicke lang blind sein. Er würde ihr noch ein paar Sekunden geben. Sekunden der Hoffnung, noch einmal davongekommen zu sein, es gerade noch rechtzeitig geschafft zu haben, ehe sie erkennen würde, dass sie die ganze Zeit keine Chance gehabt hatte. Geschah ihr ganz recht. Was hatte sie ihn auch permanent bespitzeln müssen. Es war ein Vergnügen, wenn der Jäger zum Gejagten wurde, ohne es zu ahnen.
Lisa tappte vorsichtig in Richtung Tor, bemüht, keinen Lärm zu machen. Frank zählte bis zehn und setzte sich dann auch langsam in Bewegung. Seine Augen waren im Gegensatz zu ihren an die Dunkelheit gewöhnt. Mit wenigen
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