Das siebte Tor
Nichtigen, verunsichert, nicht länger fähig, Personen
oder Ereignisse nach seinem Willen zu lenken, ließ er sich von den Einflüsterungen
der Drachenschlangen verführen. Taub für alle Warnungen, öffnete der Sartan das
Todestor. 4 So half er den Drachenschlangen, die anderen Welten zu betreten, wo sie
begannen, Chaos und Zwietracht zu säen, die ihnen als Nahrung dienen.
Im Grunde seines Herzens abgestoßen von dem, was
er getan hatte, verließ Samah Chelestra, um nach Abarrach zu gehen. Dort, wie
er von Alfred erfahren hatte, praktizierten Sartan die alte und verbotene
Kunst der Nekromantie.
Samah rechtfertigte sein Tun. »Wenn ich die
Toten zum Leben erwecken könnte, hätten wir eine Streitmacht, die groß genug
wäre, um die Drachenschlangen zu besiegen, damit wir wie früher über die vier
Welten herrschen können.« Es sollte Samah nicht vergönnt sein, die Kunst der
Wiedererweckung zu lernen. Er wurde gefangengenommen, zusammen mit einem
wunderlichen alten Sartan, der sich Zifnab nannte. Sie fielen ihren Erzfeinden
in die Hände, den Patryn, die ihren Fürsten Xar nach Abarrach begleitet hatten.
Auch Xar war gekommen, um die Kunst der Nekromantie zu erlernen. Er befahl,
Samah hinzurichten. Dann versuchte er, durch Magie seinen Körper
wiederzubeleben.
Ohne Erfolg. Samahs Seele wurde von einem Lazar
namens Jonathon befreit, von dem die Prophezeiung sagt: »Er wird den Toten das
Leben bringen, und für ihn wird das Tor sich auf tun.«
Nach Samahs Weggang von Chelestra warteten die
Sartan, die im Calix, dem einzigen Stück Festland in einer Welt aus Wasser,
zurückgeblieben waren, ungeduldig und mit wachsender Besorgnis auf seine
Wiederkehr.
»Die Frist, die der Archont für seine Rückkehr
gesetzt hatte, ist verstrichen. Wir können nicht länger führerlos sein. Ich
fordere dich, Ramu, auf, den Sitz deines Vaters als Haupt des Rats der Sieben
einzunehmen.«
Ramus Blick wanderte über die Gesichter der
sechs Ratsmitglieder, die ihn umstanden. »Spricht er auch für euch? Seid ihr
alle einen Sinnes?«
»Das sind wir.« Einige antworteten mit Worten, andere
mit zustimmenden Gesten. 5
Ramu war aus dem gleichen kalten Stein gemeißelt
wie Samah, sein Vater – lieber brechen als sich beugen.
Für ihn gab es nur Schwarz oder Weiß, Tag oder
Nacht: die Sonne schien hell, oder Dunkelheit beherrschte die Welt. Und selbst
wenn die Sonne schien, warf sie Schatten.
Dennoch konnte man ihm gute Charaktereigenschaften
nicht absprechen – er war ehrenhaft, ein hingebungsvoller Vater und Gatte und
verläßlicher Freund. Wenn auch die Sorge über das Verschwinden seines Vaters
sich nicht auf seinem unbewegten Gesicht abzeichnete, brannte sie doch tief in
seinem Inneren.
»Dann nehme ich an«, sagte Ramu. Er schaute
nochmals von einem zum anderen und fügte hinzu: »Bis zu dem Tag, an dem mein
Vater zurückkehrt.«
Die Ratsmitglieder bekundeten nickend ihre
Zustimmung. Anders zu handeln wäre eine Mißachtung Samahs gewesen.
Ramu erhob sich und vertauschte seinen Platz am
Ende des Tisches mit dem Stuhl in der Mitte. Die anderen Ratsmitglieder nahmen
ebenfalls ihre Plätze ein, drei zu seiner Rechten, drei zu seiner Linken.
»Welche Punkte stehen für heute auf der Tagesordnung?«
fragte Ramu.
Einer der Männer erhob sich. »Die Nichtigen
haben ein drittes Mal um die Aufnahme von Friedensverhandlungen gebeten,
Archont. Sie wollen vor dem Rat erscheinen.«
»Ich sehe keine Veranlassung, mit ihnen zu
sprechen. Wenn sie Frieden wollen, müssen sie unsere Bedingungen annehmen, wie
sie von meinem Vater festgelegt wurden. Sie kennen den Wortlaut, oder nicht?«
»Ja, Archont. Die Nichtigen ziehen entweder ihre
Truppen aus unserem Gebiet zurück oder unterwerfen sich unserer Oberhoheit.«
»Und wie lautet ihre Antwort?«
»Sie weigern sich, die eroberten Areale
aufzugeben. Um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Archont, sie haben
keinen anderen Ort, an den sie gehen könnten. Die Meermonde, ihre frühere
Heimat, sind jetzt von Eis umgeben.«
»Sie könnten an Bord ihrer absonderlichen
Schiffe gehen und auf der Bahn der Sonne nach einer neuen Heimat suchen.«
»Aber sie sehen für einen neuerlichen Exodus
keinen Grund. Hier im Calix gibt es Land genug für alle. Sie können nicht
begreifen, weshalb man ihnen verwehrt, hier zu siedeln.«
Der Tonfall des Sprechers drückte aus, daß auch
er diesen Umstand nicht ganz zu begreifen vermochte. Ramu zog die
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