Das siebte Tor
durfte nicht ausgesprochen werden. Er
wollte den Fremden zurechtweisen, als ihm einfiel, daß dieser womöglich nichts
von Orlas Schicksal wußte. Natürlich waren Gerüchte im Umlauf, doch Ramu mußte
zugeben, dieser Mann sah nicht aus wie jemand, der hinter der vorgehaltenen
Hand Neuigkeiten austauschte.
Vielleicht war es klüger, auf einen Kommentar zu
verzichten. Ramu beschränkte sich darauf, mit vielsagender Betonung zu
antworten: »Ich bin Ramu, Sohn von Samah.« Dann zögerte er weiterzusprechen.
Wenn er den Fremden nach seinem Namen fragte, verriet er diesem, daß er sich
nicht mehr an ihn erinnerte. Als Diplomat lernte man, sich aus derartigen
Situationen zu retten, doch Ramu – im Grunde genommen offen und aufrichtig –
fiel so schnell kein geeignetes Manöver ein.
Der fremde Sartan half ihm aus der Bedrängnis.
»Du weißt nicht, wer ich bin, habe ich recht, Ramu?«
Ramu stieg das Blut ins Gesicht, er wollte
Zuflucht zu einer Floskel nehmen, aber sein Besucher fuhr fort: »Nicht
verwunderlich. Wir kannten uns vor langer, langer Zeit. Vor der Teilung. Ich
war ein Mitglied des ursprünglichen Rats und ein guter Freund deines Vaters.«
Ramu öffnete, ohne es zu merken, staunend den
Mund – in seinem Gedächtnis regte sich eine Erinnerung. Eine beunruhigende
Erinnerung. Doch von weit größerem Interesse war die Tatsache, daß es sich bei
diesem Sartan offenbar nicht um einen Bewohner von Chelestra handelte. Er kam
also aus einer der anderen Welten.
»Arianus«, erklärte der Sartan lächelnd. »Welt
der Lüfte. Wir lagen dort im Langen Schlaf. Genau wie dein Volk hier, nehme ich
an.«
»Es freut mich, daß wir uns wiederbegegnen«,
sagte Ramu. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, neue Hoffnung
durchflutete ihn. Also lebten noch Sartan auf Arianus! »Ich möchte Euch
nicht beleidigen, doch wie Ihr sagt, es ist lange her. Euer Name…«
»Nenn mich James«, antwortete der Fremde.
Ramu betrachtete ihn argwöhnisch. »James ist
kein Sartanname.«
»Das stimmt. Doch wie ein Landsmann von mir dir
erzählt haben dürfte, wir auf Arianus pflegen nicht unsere wahren Sartannamen
zu benutzen. Ich vermute, du hast das Vergnügen gehabt, Alfred kennenzulernen?«
»Den Ketzer. Ja, ich kenne ihn.« Ramu ruckte
grimmig. »Ihr solltet wissen, daß er verbannt worden ist…« Wieder meldete sich
diese vage Erinnerung. Sie hatte nichts mit Alfred zu tun, sondern mit etwas,
das weiter, viel weiter zurücklag. Er bemühte sich, ihrer habhaft zu werden,
aber sie entzog sich ihm hartnäckig.
James nickte ernst. »Alfred war schon immer ein
Querkopf. Es überrascht mich nicht, von seiner Verbannung zu hören. Doch ich
bin nicht wegen Alfred hier. Ich komme in einer viel unerfreulicheren Mission,
als Überbringer trauriger Neuigkeiten.«
»Mein Vater.« Ramu vergaß alles andere. »Ihr bringt
Nachricht von meinem Vater.«
»Ich bedaure, dir das sagen zu müssen.« James
legte Ramu die Hand auf den Arm. »Euer Vater ist tot.«
Ramu neigte den Kopf. Er zweifelte nicht einen
Moment an den Worten des Fremden. In seinem Herzen hatte er es schon seit
einiger Zeit gespürt.
»Wie ist er gestorben?«
Das Gesicht des Sartan verhärtete sich. »Er
starb in den Katakomben Abarrachs, von der Hand des Mannes, der sich Xar, Fürst
der Patryn, nennt.«
Der Schmerz verschloß Ramu den Mund. Lange Zeit
konnte er nicht sprechen, dann fragte er leise: »Woher wißt Ihr das?«
»Ich war bei ihm«, antwortete James und
beobachtete den jungen Mann scharf. »Auch ich wurde von Fürst Xar
gefangengenommen.«
»Und Ihr konntet fliehen? Mein Vater nicht?«
Ramu runzelte die Brauen.
»So ist es. Ein Freund half mir zu entkommen.
Für Euren Vater war es bereits zu spät.« James seufzte.
Finsternis senkte sich auf Ramu herab. Doch bald
verdrängte Zorn die Trauer – Zorn und Haß und der Wunsch nach Vergeltung.
»Ein Freund hat Euch geholfen? Dann leben noch
Sartan in Abarrach?«
»Allerdings«, bestätigte James mit einem
wissenden Blick. »Viele Sartan leben in Abarrach. Ihr Anführer heißt Baltasar.
Ich weiß, auch das ist kein Sartanname«, fügte er erklärend hinzu, »aber du
mußt bedenken, es sind Sartan der zwölften Generation. Viele der alten Sitten
und Bräuche sind in Vergessenheit geraten.«
»Ja, natürlich«, murmelte Ramu und dachte nicht
mehr daran. »Ihr habt gesagt, auch dieser Fürst Xar lebt auf Abarrach. Das kann
nur eins bedeuten…«
James
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