Das siebte Tor
Kräfte vertrauen, doch eine innere Stimme sagte ihr, daß sie
vielleicht nicht ausreichten. Sie war müde. Unsagbar müde. Was sie noch an
Kraft besaß, mußte sie für die Schlacht am Letzten Tor bewahren.
Marit kletterte auf den Rücken des Drachen und
nahm zwischen den Schulterblättern Platz, aus denen die gewaltigen Schwingen
hervorsprossen. 2 Zifnab, der gesten- und wortreich die Operation dirigiert hatte, ohne sich
daran zu stören, daß niemand ihm Beachtung schenkte, stieß plötzlich einen
entrüsteten Schrei aus. »Halt! Und wo sitze ich?«
»Ihr kommt nicht mit, Sir«, antwortete der
Drache. »Es wäre zu gefährlich für Euch.«
»Aber was soll ich hier allein?« jammerte
Zifnab.
»Nun, da wäre diese andere kleine Angelegenheit,
über die wir gesprochen haben. In Chelestra. Ich hoffe doch, man darf Euch
zutrauen, das ohne Zwischenfall zu erledigen?«
»Mr. Bond könnte es«, antwortete Zifnab
grämlich.
»Ohne jede Frage.« Der Schweif des Drachen
peitschte ungeduldig durch die Luft.
Zifnab zuckte die Schultern und drehte den
spitzen Hut zwischen den Händen. »Andererseits, ich könnte Dorothy sein.« Er
schlug die Fersen zusammen. »Nirgends ist es so schön wie zu Hause. Nirgends
ist es so schön…«
»Schon gut, schon gut«, grollte der Drache.
»Wenn es unbedingt sein muß. Bemüht Euch aber, nicht wieder alles zu
vermasseln!«
»Du hast mein Wort«, sagte Zifnab und salutierte
zackig, »als ein Mitglied des Geheimdienstes Ihrer Majestät.«
Der Drache stöhnte dumpf. Er winkte mit einer
Tatze, und Zifnab war verschwunden.
Wuchtige Flügelschläge wirbelten Staubwolken
auf, die Marit die Sicht verhüllten. Sie klammerte sich an den diamantharten
Schuppen fest, während der Drache sich in die Lüfte schwang. Die Baumwipfel
blieben unter ihr zurück, eine warme Helligkeit berührte ihr Gesicht.
»Was ist das für ein Licht?« rief sie angstvoll.
»Sonnenlicht«, antwortete Alfred ehrfürchtig.
»Und woher kommt es?« Sie schaute sich um. »Es
gibt keine Sonne im Labyrinth.«
»Die Zitadellen.« In Alfreds Augen glänzten
Tränen. »Das Licht stammt von der Zitadelle von Pryan. Noch ist nicht alles
verloren, Marit. Noch ist nicht alles verloren!«
»Bewahrt euch diese Hoffnung in euren Herzen«,
sagte der Drache grimmig. »Denn mit der Hoffnung sterben auch wir.«
Die goldene Helligkeit im Rücken, flogen sie in
die rötlich gefärbte Dunkelheit hinein.
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Kapitel 6
Der Calix,
Chelestra
Die Welt Chelestra ist eine Kugel aus Wasser in
der kalten Schwärze des leeren Raums. Ihre äußere Hülle besteht aus Eis, das
Innere – erwärmt von Chelestras schwimmender Sonne – ist Wasser, warm, atembar
wie Luft. Es hat eine neutralisierende Wirkung auf sowohl Sartan- als auch
Patrynmagie. Die Nichtigen Chelestras, von den Sartan dort angesiedelt, wohnen
auf Meermonden – lebenden Organismen, die im Gefolge der wandernden Sonne
durch das Wasser treiben. Die Meermonde schaffen sich eine eigene Atmosphäre,
sie sind umgeben von einer Luftblase. Auf diesen Monden errichten die Nichtigen
Städte, bauen Getreide an und durchpflügen mit ihren magischen Tauchbooten die
Fluten.
Im Gegensatz zu den Welten Arianus und Pryan
leben auf Chelestra die Nichtigen in Frieden miteinander. Ihre Welt und ihr
Dasein war seit Jahrhunderten ungestört geblieben, bis zur Ankunft Alfreds
durch das Todestor. 3
Er weckte unabsichtlich eine Gruppe von Sartan –
genau dieselben, die seinerzeit die Teilung der Welt bewirkt hatten aus ihrer
Stasis. Einst von den Nichtigen als Halbgötter verehrt, wollten die Sartan erneut
die Herrschaft über jene an sich reißen, die in ihren Augen minderwertige
Lebewesen waren.
Angeführt von Samah, dem Archonten – dem Mann,
der die Teilung befohlen hatte –, mußten die Sartan zu ihrem großen Unmut und
Erstaunen feststellen, daß die Nichtigen keine Anstalten machten, vor ihnen
niederzuknien und sie anzubeten, sondern wahrhaftig die Kühnheit besaßen, den
selbsternannten Göttern zu trotzen und die Sartan in ihrer eigenen Stadt
gefangenzusetzen, indem sie sie mit dem Magie neutralisierenden Meerwasser
überfluteten.
Außer den Nichtigen und den Sartan nistete auf
Chelestra in Gestalt riesiger Lindwürmer die Manifestation des Bösen. Die
Drachenschlangen, wie die Zwerge sie nannten, suchten schon seit langem nach
einem Weg von Chelestra zu den anderen Welten. Samah half ihnen, ohne es zu
ahnen. Erzürnt über die
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