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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dettwiler
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schnitt ihm das Wort ab. »Als Büßer seid Ihr gekommen, als Büßer werdet Ihr leben. Das erste Gebot ist das Schweigen.«
    Achtlos kehrte Nilus dem Kaiser den Rücken zu und verlor sich mit seinen Jüngern im Gebet.
    Otto dankte dem Himmel für seine Heilung, bereute seine Sünden. Stundenlang hörte er den Litaneien der Eremiten zu. Während der Nacht schoben ihm die Gefolgsleute warme Decken über. Sie konnten aber nicht verhindern, dass der Kaiser nichts aß und an Gewicht verlor.
    Am Abend des zweiten Tages spürte der Herrscher einen Schatten über sich, als er betend auf der Erde kniete.
    Nilus stand neben ihm und streckte die Hand aus. »Ich segne Euch und werde für Euer Seelenheil beten.«
    Dankbar ergriff Otto die Hand des Eremiten, wagte nichts zu sagen. Seine Augen flehten.
    Als Nilus nickte, brach der Kaiser das lange Schweigen: »Kommt mit mir nach Rom. In einem Kloster in der Stadt werdet Ihr den Gläubigen näher sein.«
    Nilus lehnte ab. Er wies Otto an, zum Mons Garganus zu pilgern, zur Kirche des Erzengels Michael. »Bringt ihn weg!«, sagte der Eremit zu den kaiserlichen Gefolgsmännern. »Führt den Kaiser nach Monte Cassino. Dort wird er sich vor der Pilgerreise nach Süden erholen können.«
    Am nächsten Morgen verließ Otto die lebenden Bürger des Himmelreiches. Serperi war nur noch ein kleiner Punkt am Meeresstrand, als er mit seinem Gefolge die Hügelkette Richtung Monte Cassino emporritt.
    Im Sancta Sanctorum des Lateranpalastes leuchtete golden die verehrungswürdige Ikone. Die Entstehung des verblassten Christusgesichts lag im Dunkeln. Eine Legende berichtete, der heilige Lukas habe es eigenhändig gemalt. Das Bild sei, von Engeln verbessert, in Konstantinopel aufbewahrt worden. Bis der heilige Patriarch Germanus es den Fluten anvertraute. Er rettete die Ikone vor dem griechischen Bildersturm, ein günstiger Wind trug sie nach Rom.
    Papst Gregor kniete betend vor dem Bild, als Gerbert am Morgen nach der Abreise des kaiserlichen Missus die Treppe emporstieg.
    »Hier bin ich, wie versprochen«, sagte der Erzbischof von Ravenna. Das Kerzenlicht warf den Schatten der imposanten Gestalt auf den Papst.
    Gregor trug die feierlichen Kleider mit dem Pallium. Gefasst richtete er seine Augen auf Gerbert. Sie waren graublau wie der Himmel eines traurigen Wintertages.
    »Können wir uns setzen?«, fragte Gerbert. Die Aufregung der letzten Tage hatte ihn ermüdet.
    Gregor wies mit der Hand auf zwei Marmorsitze. Als sie sich niedergelassen hatten, begann der Papst zu sprechen: »Ich bin im Sinn der Welt schuldig geworden, um nicht vor Gott schuldig zu sein.«
    »Die Prophezeiung lautet anders«, gab der Gelehrte kalt zurück. »Dem Antichrist wird es im tausendsten Jahr unter der Maske der Frömmigkeit gelingen, an heiliger Stätte die Verführten zu sammeln und gegen Gott zu kehren. Bis er entlarvt und niedergeworfen wird.«
    Der Papst starrte wortlos zur Ikone.
    »Sub specie religionis …« Gerbert hob den Arm und zeigte auf Gregor. »Ihr seid der Antichrist!«
    Empört sprang Gregor auf. »Ihr wagt es, Euren Papst mit dem Antichristen in einem Atemzug zu nennen?«
    »Ja, am heiligen Sitz des Apostels Petrus regiert ein Heuchler über die Gläubigen.« Gerbert erhob sich ebenfalls und ging auf die Treppe zu.
    »Wartet!«, schrie Gregor. »Ihr könnt mich nicht verlassen.« Er packte den Erzbischof an der Tunika und zog ihn zurück. Flehend sagte er: »Setzt Euch wieder! Wir wollen in Ruhe sprechen.«
    Wortlos folgte der Gelehrte Gregor zu den Marmorsitzen.
    »Ihr versteht nicht, Gerbert«, begann der Papst gefasst. »Ich habe das Gute und den Frieden gewollt.« Plötzlich schwieg er und suchte nach Worten. Verschwommene Erinnerungen bekamen Gestalt, legten Gregors gepeinigte Seele bloß. Schon als Kind war er am Bösen im Menschen fast verzweifelt.
    »Erinnert Ihr Euch an den grausamen Mord an Papst Benedikt?«, fragte Gregor zitternd. »Und an Papst Bonifaz’ Verbrecherregiment? Ich war ein Knabe, als dieser seinen Vorgänger verhungern ließ. In der Wormser Domschule hörte ich von immer schrecklicheren Morden in der Stadt des Apostels Petrus und hielt es fast nicht mehr aus.«
    »Wir alle haben davon gehört«, sagte Gerbert lakonisch.
    »Aber manche Seele treffen Grausamkeiten tiefer. Ich jedenfalls fasste damals den Entschluss, dem Guten zu dienen und Priester zu werden.«
    Als Gregor weitererzählte, hörte der Gelehrte ungläubig zu. Der Knabe Brun von Wormsgau hatte hochfliegende

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