Das Siegel der Macht
»Du willst den Vertrag deines Großvaters nicht erneuern? Ausgerechnet mir gegenüber? Vergiss nicht gerade jetzt, dass auch ich ein Urenkel Ottos des Großen bin.«
Der Herrscher hörte Enttäuschung mitschwingen, wollte sich aber von Gregor nicht beirren lassen. Er besann sich auf seine Kaiserwürde und gab sich einen Ruck. »Als Papst solltest du in Glaubensfragen über die Christenheit entscheiden, die weltliche Herrschaft gehört nicht dazu.«
Gespannt beobachtete Otto die Reaktion des feierlich gekleideten Papstes.
Außer dem Unterkleid trug dieser bereits die weiße Dalmatika. Darüber die kürzere rote Alba und das Pallium, den weißen Schal des guten Hirten, der aus Lammwolle gearbeitet war. Eine eng anliegende Filzkappe bedeckte Gregors Haar. Später würden die Diakone ihm darüber die Tiara aufsetzen.
Die graublauen Augen des Papstes fixierten den kaiserlichen Vetter. »Du weißt so gut wie ich, dass ich kaum väterliche Einkünfte habe. Der höchste Kirchenfürst braucht seine Mittel. Die Erneuerung des Vertrags würde alle Probleme lösen.«
Das 962 für Kaiser Otto I. und Papst Johannes XII. in Goldbuchstaben verfasste Vertragswerk, das Ottonianum, hatte ein großes Gebiet in Mittelitalien dem Kirchenstaat zugesprochen. Gregor brauchte jetzt diese Grafschaften zwischen Pesaro und Ancona und das zugehörige Hinterland, um mit einem Riegel von Meer zu Meer seinen Einflussbereich abzugrenzen.
In diesem Augenblick gab Otto beinahe nach. Er musste sich selber zwingen, an seiner vorgefassten Entscheidung nicht zu rütteln. Mit fester Stimme erklärte er: »Wenn es dir nur um Einkünfte geht, so biete ich dir eine andere Lösung. Du wirst Abgaben aus den acht Grafschaften erhalten. Die Regierungsgewalt aber bleibt bei meinem Gesandten.« Ottos Worte klangen endgültig. Er wartete keine Antwort ab und stand auf. Zusammen nahmen Kaiser und Papst wenige Minuten später vor dem Altar des Apostels den Vorsitz der Synode ein. Otto seufzte beim Gedanken an die langwierigen Verhandlungen und war froh, dass er jetzt mit Alexius allein war. »Willst du wissen, was heute Morgen im Reimser Streit entschieden worden ist?«
»Ja. Gerbert ist mein Freund.«
»Und bald auch meiner, Alexius! Du hättest ihn sprechen hören sollen. Noch nie habe ich eine solche Verteidigungsrede miterlebt. Jetzt erst verstehe ich dein Glück, bei diesem Lehrer studiert zu haben.« Der Kaiser schwelgte in seinen Erinnerungen …
Otto hatte sich während der Synode dauernd zur Disziplin zwingen müssen. Als man zum Reimser Streit kam, war das nicht mehr nötig. Der junge Kaiser war von Gerberts Worten hingerissen.
»Es ist gegenwärtig eine Verrücktheit, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen«, hatte Gerbert zu seiner Verteidigung gesagt. »Das göttliche und das menschliche Recht werden wild durcheinander gebracht wegen der ungeheuren Habsucht der schlechten Menschen. Für sie gilt nur als Recht, was Leidenschaft und Gewalt den Mitmenschen aufzwingen.«
Die Synode hielt den Atem an. Ein Argument um das andere rollte Gerbert vor den versammelten Kirchenfürsten auf. Es blieb spannend bis zum Schluss. Wer würde das Rennen um das mächtige Erzbistum Reims machen? Der von den westfränkischen Kirchenfürsten ernannte Gerbert oder sein Gegenspieler, der Kandidat des Mönchstums, der zudem ein politischer Verräter war? Das Herz des jugendlichen Kaisers schlug für Gerbert.
Aber Papst Gregor machte einen Strich durch Ottos und Gerberts Rechnung. Die Entscheidung im Reimser Streit wurde abermals vertagt.
Die Erinnerung an das Ende der Verhandlungen versetzte Otto in Wut. Er machte sich Luft und schlug mit der Faust gegen ein Kissen. Ruhiger, gefasster sagte er dann zu Alexius: »Gerbert soll das Erzbistum Reims verwalten, bis der Fall geklärt ist. Einen Teil der Reise kann er deshalb in meinem Gefolge mitmachen.« Otto wollte das Gespräch beenden. Er hängte sich den Mantel um und schloss die edelsteinbesetzte Agraffe. Beim Abschied klang seine Stimme schwärmerisch. »Alexius! Mit Gerbert diskutieren und philosophieren … Damit er in meiner Nähe bleibt, will ich ihn bis August als meinen persönlichen Sekretär und Notar beschäftigen. Schade, dass du nicht mit uns reisen kannst.«
Dafür werde ich mein Carolus gegebenes Versprechen einlösen. Alexius frohlockte in Gedanken. Auf dem Weg nach Lothringen konnte er ohne Zeitverlust in Chur Halt machen.
7
Schweißgebadet schreckte Alexius aus dem Schlaf. Er hatte keine Zeit,
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