Das Siegel der Macht
Jahrhundert nach Griechenland verlegte, schwangen bestimmt Erinnerungen an Rom mit.
Je näher Alexius der antiken Triumphsäule aus schneeweißem Marmor kam, desto weniger Menschen sah er. Hatte Rom im Altertum eine Million Einwohner, so waren es jetzt weniger als 40.000. Die meisten Leute hausten in bescheidenen Hütten oder hatten sich in uralten Portiken oder römischen Villenresten einen Wohnplatz eingerichtet. Der Via Flaminia entlang begegnete Alexius auf Schritt und Tritt Marmor- und Steintrümmern. Weidende Kühe fraßen Unkraut zwischen den Ruinen.
Der Missus ritt auf einen Hügel jenseits der breiten Ausfallstraße, auf der gerade erschöpfte Pilger aus dem Norden mit ihren Eseln von der Porta Flaminia her in die Stadt einzogen. Auf der Kuppe band er das Pferd an einen Baum und genoss die Aussicht auf die Stadt. In der Ferne konnte er das Theater des Pompejus und das halbkugelförmige Dach des Pantheons erkennen. Genau über der Peterskirche stand die untergehende Sonne. Alexius schloss die Augen und betete. Als er sie wieder aufschlug, versank der rote Feuerball am Horizont. Das Flimmern der Sonne verschmolz mit dem goldenen Glanz von Sankt Peter. Ein Zeichen des Himmels! Eine Vorahnung ging Alexius durch den Kopf. Die Synode wird ein Erfolg für Gerbert, sicher wird er in sein Erzbistum Reims zurückkehren können.
Da sich ein plötzliches Hungergefühl bemerkbar machte, schlug Alexius den Weg zu seinem Ritterquartier ein. Er wollte an diesem Abend nicht zu seiner Schänke reiten. Die süße Spannung, die ihn in wellenartigen Schüben an Lucilla erinnerte, konnte ruhig noch einen Tag andauern. Alexius beschloss, dem Schankwirt einen Botenjungen zu schicken. Für klingendes Silber war der habgierige Vater bestimmt bereit, ihm eine Kammer mit Kissen und einem Teppich auszustaffieren. Dieser Gedanke hätte ihn fast umgestimmt. Als er an den duftenden Ginstersträuchern vorbeiritt, die im einstigen Garten des Luculi wild blühten, wich die gedankliche Erinnerung an die junge Römerin einer körperlichen. Er glaubte ihren Duft zu riechen.
In seinem Quartier dachte Alexius vor dem Einschlafen an Gerbert und die bevorstehende Synode. Das Streitgespräch von Ravenna! Er hatte als Knabe in der erzbischöflichen Schule von Reims davon erfahren …
Vor fünfzehn Jahren galt Gerbert von Aurillac bereits als der größte Gelehrte seiner Zeit. Was ihn von anderen Studierenden unterschied, war seine Vielseitigkeit. Er kannte die Philosophie und Dichtung so gut wie die Kirchenväter. Seine tiefste Liebe galt der Mathematik und der Astronomie. Diese unübertroffene Gelehrsamkeit erregte den Neid der sächsischen Philosophen. Man klagte Gerbert der Unwissenheit an. Der damalige Herrscher wollte es genau wissen und organisierte einen spannenden Disput unter Gelehrten. Gerbert triumphierte. Kaiser Otto II. war derart begeistert, dass er ihm eine reiche Abtei anvertraute. Die erste von vielen kirchlichen Würden, die Gerbert zum Zenit des Möglichen führen sollten.
6
»Im Quartier des kaiserlichen Gefolges geht es zu wie in einem Bienenhaus«, klagte Ricolf und ließ sich in Elanas Mietstube auf eine Bank fallen. »Es ist mir fast unmöglich, diesen Alexius allein zu beobachten, geschweige denn, ihn zu schützen.«
Die sächsische Burgherrin legte Feder und Pergament weg, schob das Tuschgefäß zur Seite und wandte dem Gefolgsmann ihre ganze Aufmerksamkeit zu. Als sie sich zu ihm über den Tisch lehnte, wehte ihr Ricolfs säuerlicher Schweißgeruch entgegen. Offenbar hat Ritter Alexius ihn in Trab gebracht, dachte sie bei sich. Elana stand auf, strich ihr feines braunes Gewand zurecht und ging zum Schrank. Der kleine Behälter aus Alabaster stand zuvorderst. Mit dem Rücken zu Ricolf gewandt nahm die Frau den Verschluss ab und tröpfelte sich süßen Duftstoff auf die Hände. Als sie wieder vor dem Diener saß, sprühten ihre Augen lebhaft.
»Zuerst solltest du dir eine dunkle Mütze besorgen, Ricolf. Dein flachsblondes Haar leuchtet selbst auf größere Distanz. Wer dich einmal gesehen hat, wird sich leicht erinnern.«
Ricolf hörte nicht zu. »Allein kann ich das nicht machen«, wiederholte er stur.
»Nun erzähl schon! Siehst du nicht, dass ich gespannt bin?«
»Der Missus kommt niemals zur Ruhe. Zuerst musste ich während seines langen Spaziergangs mit einem Erzbischof ausharren. Kaum war Alexius wieder in seinem Quartier, kam er einfacher gekleidet schon wieder aus dem Haus und ritt davon.« Ricolf schlug
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