Das Siegel der Macht
Gerberts Stimme, ein Bitten, das er nicht abschlagen konnte. »Ich werde nach Peterlingen gehen, seid unbesorgt. Sobald ich wieder beim Kaiser bin, wird er hoffentlich irgendeine Botschaft für Italien haben. Sein Vetter, der vertriebene Papst, erwartet dringend Ottos Hilfe.« Außerdem ist in Rom Lucilla, dachte Alexius. Otto weiß das, er wird mir erlauben, über Peterlingen südwärts zu reisen. Laut sagte er: »Ihr glaubt, dass die geheimen Zusammenkünfte eine Verschwörung gegen Euch bedeuten, dass sie mit der Zukunft des Erzbistums Reims zu tun haben?«
»Das auch. Aber es könnte mehr dahinter stecken. Wie erklärst du dir zum Beispiel den Satz, den Abbo dem Abt der Reichenau geschrieben hat? ›Die Masse macht mit.‹ Was hat das zu bedeuten?«
»Vielleicht meint er das Volk der Gläubigen.«
»Möglich«, zweifelte Gerbert. »Er könnte auch an die Masse der Mönche gedacht haben. Jedenfalls werden die Klöster immer stärker. Leider teilt Papst Gregor meine Befürchtungen nicht. Er lässt sich von den Reformäbten Sand in die Augen streuen. Stell dir vor, der Papst hat dem Kloster von Fleury letzten Monat unglaubliche Privilegien gewährt. Nicht nur freie Abtwahl und das Verbot für alle Bischöfe, Klostergebiet zu betreten. Fleury ist der Primat über alle Klöster Galliens verliehen worden!«
»Was hat dies zu bedeuten?«, flüsterte Alexius.
»Fleury ist jetzt von weltlichen Herrschern und Bischöfen unabhängig, kann auf den immensen klösterlichen Ländereien selbst Recht sprechen. Und nicht nur das. Der Primat bedeutet, dass die Abtei von Fleury unter allen westfränkischen Klöstern den ersten Rang einnimmt. Fast unbeschränkte Macht über ein Heer von Mönchen ist Abbo vom Papst in die Hand gegeben worden.«
14
Die Reise nach Peterlingen musste warten. Als Alexius mit Gerberts Botschaft in Aachen eintraf, überschlugen sich die Ereignisse. In den letzten Dezembertagen war der Erzbischof von Mailand an den Hof gekommen mit wichtigen Nachrichten für den Kaiser. Crescentius Nomentanus war wieder alleiniger Herr in Rom, eine Rückkehr Papst Gregors unmöglich. Die für Weihnachten nach Rom einberufene Synode blieb ein leerer Wunschtraum. Nun war sie für Anfang Februar 997 im norditalienischen Pavia angesetzt.
Nach zwei kurzen Ruhetagen reiste Alexius im Gefolge des Mailänder Erzbischofs nach Süden. Der Bote des Kaisers sollte über den Brenner reiten, zum Bischof von Brescia. Es war nötig, möglichst viele kaisertreue Bischöfe für das Konzil aufzubieten. Außerdem musste er als Missus Gerichtsverhandlungen leiten.
Vergeblich suchte Alexius in Pavia nach Johannes Philagathos, jenem Erzbischof, der im Herbst endlich von der Brautwerbung für Otto aus Byzanz zurückgekehrt war. Alexius sollte diesen genau befragen. Würde man dem Kaiser die byzantinische Prinzessin Zoe zur Frau geben, oder waren die Verhandlungen gescheitert? Der Mann, den der junge Grieche treffen sollte, nahm aber nicht an der Synode teil. Johannes Philagathos war als Pilger nach Rom abgereist.
Alexius galoppierte nach Abschluss der Synode mit vier Gefolgsmännern südwärts. Innerlich zerrissen. Glück und Enttäuschung, eine seltsame Gefühlsmischung. Seine Träume flogen Lucilla entgegen, die Beschlüsse von Pavia machten ihm zu schaffen …
Die Februar-Synode des Jahres 997 war schwach besucht gewesen, ein Zeichen der Machtlosigkeit Papst Gregors. Das Resultat allerdings eines Löwen würdig, nicht eines vertriebenen Lämmchens: Gregor verdammte die Simonie, die Käuflichkeit der geistlichen Würden. Er suspendierte alle westfränkischen Bischöfe, die an der Absetzung des früheren Erzbischofs von Reims beteiligt gewesen waren, auch Gerbert. Papst Gregor ging aber nicht auf Kompromisse ein. Er widersetzte sich König Roberts verbotener Ehe und bedrohte den westfränkischen Monarchen mit der Ausschließung aus der Kirche. Über Gregors Vertreiber Crescentius Nomentanus wurde der Bann verhängt.
Niemand beachtete den dürftig gekleideten Pilger, der sein Maultier durch die Gassen Roms führte. Keiner ahnte von den Schätzen, verborgen unter einem schmuddligen Tuch.
Ein Fläschchen mit Duftstoff, goldene Textilien, Waffen. In der Stadt des Crescentius Nomentanus war ein Missus des Kaisers nicht willkommen. Alexius reiste als bescheidener Gläubiger. Die Kapuze halb über das Gesicht gezogen, trieb er sein Maultier an Sankt Peter vorbei zur Tiberinsel, war unterwegs, um den Erzbischof Johannes Philagathos zu
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