Das Siegel der Macht
Erwartungen. Endlose Säulenhallen, Böden aus sorgfältig zusammengesetzten Marmorstücken, mit schweren Stoffen behangene Wände, goldene Mosaike. Genauso prunkvoll wie die Säle war sein Schlafgemach. Feinste Betttücher, Stickereien an den Wänden, silberne Gefäße und Kerzenleuchter, wo er hinsah.
Während Brun seine Füße vor das Bett setzte und sich aufschwang, stieg ein Gefühl des Friedens in ihm auf. Gleichzeitig die Gewissheit. Der Albtraum wird nie wiederkehren! Wie oft hatte dieser ihn geplagt. In der ersten Nacht des Schreckens war er fast noch ein Kind gewesen …
Der dreizehnjährige Brun saß in der Wormser Domschule und umfasste mit beiden Händen eine Pergamentrolle. Gloriosissimam Civitatem Dei … Die Worte vom ruhmreichen Gottesstaat faszinierten den Schüler. Vergeblich hatten die Lehrer versucht, sein Interesse auf andere Kirchenväter zu lenken. Im Unterricht tat Brun seine Pflicht, jede freie Minute aber galt den Schriften des heiligen Augustinus. Da die Schule bereits geschlossen war, saß er an jenem grauen Septemberabend in einer Nische des Scriptoriums und sog die heiligen Worte in sich auf. Plötzlich hörte er aus dem angrenzenden Raum Stimmen.
»Das grässliche Morden in Rom nimmt kein Ende.« Sein Lehrer Balderich!
»Ein Monstrum sitzt auf Petri Stuhl«, antwortete eine Brun unbekannte Stimme.
»Der Papst vom aus Byzanz zurückgekehrten Bonifatius in der Engelsburg gefangen gesetzt, wo er elendiglich hat verhungern müssen! Die Christenheit wird nun von seinem Mörder geführt. Papst Bonifatius’ Verbrecherregiment wird den Apostolischen Stuhl in den Abgrund stürzen.«
Die Schritte verklangen im Gang vor dem Scriptorium. Der Schüler Brun war allein und erfasste nur langsam den Inhalt des Gesprächs. Er begann zu zittern, seine Augen starrten ins Leere.
Brun verdrängte die Erinnerungen und ging zum Becken neben seinem Schlafraum im Lateranpalast, um sich den Schweiß des Albtraums wegzuwaschen. Sorgfältig prüfte er die kostbaren Kleidungsstücke. Alles war bereit. Brun zog sich ohne fremde Hilfe für den großen Tag der Weihe an. Da es noch viel zu früh war, trat er unentschlossen ans Fenster. In der Ferne leuchtete im ersten Morgenlicht die Fassade der Marienkirche auf dem Esquilinhügel. Daneben viel kleiner das hohe Giebeldach von Santa Praxedis. Unwillkürlich kehrten Bruns Gedanken an den Albtraum zurück, eine unerklärliche Angst nahm ihm fast den Atem. In seinem Innersten wurden quälende Erinnerungen wach, die er längst vergessen glaubte …
Schon als Vierjähriger hatte Brun ein Gespräch über den grausamen Mord an Papst Benedikt aufgeschnappt. Seiner Mutter Judith gelang es nicht, ihn zu trösten. Damals erfassten kindliche Gedanken an Gott sein Innerstes. In der Einsamkeit band er zwei Winter später seine Arme an die Kordeln der Bettvorhänge, breitete sie aus. Gott im Himmel, wenn die Welt ein neues Opfer braucht, kreuzige mich wie den Herrn! Langsam reifte der Entschluss. Als Siebenjähriger durfte er in die Domschule von Worms eintreten, um sich auf das Priestertum vorzubereiten.
Auf dem Gang zu seiner Weihe dachte Brun nochmals an das Gespräch im Scriptorium von Worms zurück. In jener Septembernacht des Jahres 984 hatte ihn erstmals der grausige Traum geschüttelt. Das Albdrücken wiederholte sich wieder und wieder, blieb ein Rätsel, bis Brun als Vierzehnjähriger mit seinem Vater nach Rom reiste. Als er in der Kirche der heiligen Praxedis das Mosaik mit der blaugoldenen Mauer Jerusalems sah, erfasste er plötzlich den Sinn des wiederkehrenden Albtraums. Alles war klar. Gott hatte im Traum zu ihm gesprochen.
Jetzt bin ich auf dem Weg nach Sankt Peter. Jerusalem, den Gottesstaat auf Erden bringen! Brun schüttelte seine Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Zukunft.
Als der festlich gekleidete Kirchenfürst den Lateranpalast verließ, gab es keinen Brun von Wormsgau mehr. Papst Gregor V. stellte sich gefasst dem Klerus und Volk von Rom zur Wahl. Die Akklamation war nicht einstimmig. Nur eine Formsache, die den frommen und gebildeten Papst nicht kümmerte. Die gute Christenheit und allen voran die Äbte der Klöster von Cluny und Fleury würden zu ihm stehen. Während der feierlichen Weihe ließ Gregor sich nicht vom Glanz der Zeremonie und von den Ehrerweisungen blenden. Es waren kaiserliche Legaten, die ihn weihten. Im Namen König Ottos, seines Schutzherrn. Aber er, der erste deutsche Papst, war kein Hofkapellan mehr. Sein Interesse
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