Das Siegel der Macht
keine Mühe, die Augen von seiner Gastwirtin abzuwenden. Sie war höchstens fünfzehn Jahre alt. Glänzendes schwarzes Haar, ein zart geschnittenes Gesicht mit tiefblauen Augen. Der volle Mund passte zu ihren sinnlichen Formen. Geschmeidige Arme und pralle Brüste, von der Tunika nur schlecht verborgen.
Das Mädchen starrte ihn unverwandt an. So feine Herren hatte sie bisher nie in der Schankstube gesehen. Dieser war reich gekleidet und jung, hatte ein markantes Gesicht. Groß und schlank, aber zu feingliedrig für einen Krieger.
»Setz dich zu mir …« Alexius nickte ihr aufmunternd zu.
Sie sah ihn verständnislos an. Allzu stark unterschied sich das gelehrte Latein des Gastes von ihrem einheimischen Dialekt.
Langsam buchstabierte Alexius: »Komm, sitz … Wie heißt du?«
»Lucilla.«
»Solange ich in Rom bleibe, werde ich meinen Wein in deiner Schänke trinken, Lucilla.« Alexius behielt die Gewohnheit bei, jedes Wort deutlich zu sprechen.
»Wenn Ihr wünscht, Herr.« Die junge Römerin errötete, fixierte den Boden.
»Wir werden dem Herrn so gut dienen, wie wir können«, mischte sich Lucillas Vater ein. Die Tochter sprang auf, machte eine schnelle Verbeugung und verschwand im Hinterzimmer. »Schon morgen werdet Ihr vom besten Wein trinken, der im ganzen Latium zu finden ist.«
Alexius wollte ihr nachlaufen, den störenden Wirt beiseite stoßen. Doch er besann sich anders und zog eine Münze hervor, die er vor dem Gesicht des Mannes hin und her schwenkte.
»Ich bitte um Verzeihung für das Benehmen meines Töchterchens«, sagte der Gastwirt schleichend. »Lucilla ist keine fünfzehn Jahre alt, fast noch ein Kind. Sie weiß nichts von der Welt, von den … Männern.«
Der Königsbote verstand und ließ eine weitere Münze rollen. »Da wäre es vielleicht klüger, sie vor den Blicken der Trinkkumpane zu verbergen. Aber dein Wein ist wirklich gut. Nimm.«
»Der Zufall hat mein Töchterchen heute hierher geführt«, antwortete der Wirt unterwürfig und steckte das Geld in die Tasche. »Sonst sitzt sie bei der Mutter und stickt an den Stoffen für die Kaiserkrönung.«
Alexius entgegnete nichts. Geduldig wandte er sich seinem Becher zu. Neue Gäste drängten in die Gaststube und plauderten über die bevorstehenden Feierlichkeiten. Er schenkte ihnen keine Beachtung, fixierte weiter die Tür, hinter der Lucilla verschwunden war.
Als in der Schänke schon lange die Kerzen brannten, stand der Missus enttäuscht auf. »Morgen Abend werde ich wiederkommen.«
Der dienernde Wirt strahlte und schickte einen Burschen los, das Pferd seines Gastes zu holen.
»Warte einen Augenblick! Ich will dir etwas geben.« Alexius trat aus der Schänke in die Dunkelheit und nahm seinen frisch gestriegelten Fuchshengst am Zügel. Dem wartenden Stallknecht drückte er eine Münze in die Hand. Vor den wachsamen Augen des Schankwirts griff der Missus unter die Satteltasche, brachte ein kleines rundes Fläschchen zum Vorschein. Sein Onkel Rotbertus hatte zwei Glasbehälter mit Duftstoffen zusammen mit Prinzessin Zoes Bild aus Byzanz geschickt. Vorsichtig legte der Missus das Kleinod in die fleischige Hand des Gastwirts.
Dieser musterte den jungen Fremden noch eindringlicher. Die vornehmen Kleider und der gutmütige Zug um die vollen jugendlichen Lippen wirkten doppelt überzeugend. »Ein Zaubermittel!,« zischte der Gastwirt durch die halb verfaulten Zähne. »Mein Herr, Eure Schönheit, Eure Jugend, Eure Manieren sind genug. Ihr braucht keine Magie, um das Herz einer jungen Frau zu erobern.«
Alexius winkte lachend ab. »Das sind nur Essenzen aus Blumenblättern und Hölzern aus dem fernen Griechenland, meiner Heimat. Lass morgen für deine Tochter einen Badezuber füllen. Gib einige Tropfen aus dem Fläschchen bei. Lucillas Duft wird mit ihrer Schönheit wetteifern.«
Ein hässliches Grinsen verzerrte das Gesicht des Schankwirts. Alexius packte sein Pferd beim Zügel und wandte sich ab. Nach ein paar Schritten besann er sich anders. Er hatte plötzlich Lust, den geldgierigen Vater zu beeindrucken: »Die Verpflichtungen rufen. Ich gehöre zum Gefolge des Königs.«
4
Die sächsische Burgherrin Elana war froh, dass sie für ihren nächtlichen Abstecher in die vatikanischen Gärten einen dunklen Umhang mit Kapuze gewählt hatte. Als die Fassade von Sankt Peter hinter ihnen lag, warf sie einen prüfenden Blick auf ihre beiden Diener. Ricolf und Gerold trugen weite braune Mäntel, die fast bis zum Boden reichten. Niemand
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