Das Siegel der Tage
Schwiegersohn gewünscht hätten: Chilene, Einwanderer und Agnostiker. Nico hatte eine Jesuitenschule besucht, nach dem Tag seiner Erstkommunion jedoch verkündet, er werde nie wieder einen Fuß in eine Kirche setzen. Ich suchte den Rektor auf, um ihm zu erklären, warum ich den Jungen von der Schule nehmen mußte, aber der Gottesmann lachte bloß. »Das wird nicht nötig sein, wir zwingen ihn nicht, die Messe zu besuchen. Der Kleine kann seine Meinung ja noch einmal ändern, glauben Sie nicht?« Um ehrlich zu sein, glaubte ich das nicht, ich kenne meinen Sohn: Er gehört nicht zu denen, die überstürzte Entscheidungen treffen. Nico machte auf dem Colegio San Ignacioseinen Abschluß und hat sein Wort, keine Kirche mehr zu betreten, bis auf sehr wenige Ausnahmen gehalten: Celia und er haben kirchlich geheiratet, und die eine oder andere Kathedrale besichtigte er als Tourist.
Celia konnte ihrer Großmutter in ihren letzten Stunden nicht beistehen und ihren Tod nicht beweinen, denn im Grunde war neben dir, Paula, kein Platz für eine andere Trauer. Nico und ich erfaßten nicht, wie tief sie litt, teils weil wir die Einzelheiten ihrer Kindheit nicht kannten, teils weil sie, die sich gern stark gab, ihren Kummer verbarg. Sie begrub die Erinnerung, verschob die Tränen auf später und kam weiter ihren ungezählten Pflichten als Mutter und Ehefrau nach, arbeitete, lernte Englisch und versuchte, in dieser neuen Heimat, für die sie sich entschieden hatte, nicht unterzugehen. In den wenigen Jahren, die wir uns jetzt kannten, hatte ich sie trotz unserer Meinungsverschiedenheiten lieben gelernt, und als du fortgegangen warst, klammerte ich mich an sie wie an eine zweite Tochter. Ihr Aussehen bereitete mir Sorge, sie hatte eine ungesunde Farbe und keinen Appetit; außerdem wurde ihr noch immer übel wie in den schlimmsten Monaten der Schwangerschaft. Die Ärztin der Familie, Cheri Forrester, die sich um dich gekümmert hat, auch wenn du nichts davon wissen kannst, sagte, Celia sei wegen der drei so kurz aufeinander folgenden Schwangerschaften ausgelaugt, das Erbrechen habe jedoch keine körperliche Ursache, sondern sei sicher eine emotionale Reaktion, vielleicht weil sie fürchte, auch bei einem ihrer Kinder werde Porphyrie auftreten. »Wenn das so bleibt, wird man sie stationär behandeln müssen«, warnte uns die Ärztin. Celia erbrach sich weiter, aber still und im verborgenen.
Eine außergewöhnliche Schwiegertochter
Gestatte mir, daß ich fünf Jahre zurückgehe und dich erinnere, wie deine Schwägerin in unser aller Leben trat. 1988 lebte ich mit Willie in Kalifornien, du studiertest in Virginia, und Nico war, allein in Caracas, in seinem letzten Jahr an der Universität. Am Telefon erzählte er mir, er habe sich in eine Kommilitonin verliebt und wolle uns mit ihr zusammen besuchen, denn die Sache sei ernst. Ich fragte ihn geradeheraus, ob ich ein oder zwei Schlafzimmer herrichten solle, worauf er mir in diesem leicht spöttischen Ton, den du ja kennst, erklärte, das Opus Dei betrachte es als unverzeihlichen Fehltritt, vor der Ehe mit dem Verlobten zu schlafen. Die Eltern des Mädchens, das immerhin schon fünfundzwanzig Jahre alt war, seien empört, daß sie miteinander verreisen wollten, ohne verheiratet zu sein, und obendrein zu einer geschiedenen, atheistischen, kommunistischen Chilenin, die Bücher schrieb, die von der Kirche verboten waren: zu mir. Das hat uns gerade noch gefehlt …, dachte ich. Zwei Zimmer also. Zwei von Willies Kindern wohnten noch bei uns, und meine Mutter entschied sich, zur selben Zeit aus Chile zu kommen, also schob ich für Nico in der Küche ein Feldbett aus Polsterkissen zusammen. Meine Mutter und ich holten die zwei vom Flughafen ab, wo wir deinen Bruder, der noch linkisch wirkte wie ein Teenager, neben einer Person entdeckten, die entschlossen dem Ausgang zustrebte und auf dem Rücken etwas trug, das von weitem wie eine Waffe aussah, sich bei näherem Hinsehen indes als Gitarrenkoffer erwies. Ich vermute, Celia wollte ihre Mutter damit ärgern, die einst Schönheitskönigin in einer karibischen Misswahl gewesen war, jedenfalls ging sie wie John Wayne, trug unförmige olivgrüne Hosen, Bergschuhe und eine Baseballkappe schräg über einemAuge. Man mußte zweimal hinsehen, um zu bemerken, wie hübsch sie war: feine Gesichtszüge, ausdrucksvolle Augen, schmale Hände, breite Hüften und eine Ausstrahlung, der man sich schwer entziehen konnte. Dieses Mädchen, in das mein Sohn verliebt
Weitere Kostenlose Bücher