Das Siegel der Tage
war, trat herausfordernd bei uns auf, als wollte sie sagen: »Wenn ich euch gefalle, schön, und wenn nicht, Pech für euch.« Mir schien sie so anders als Nico, daß ich vermutete, sie sei schwanger und die beiden wollten deshalb schleunigst heiraten, aber ich irrte mich. Möglich, daß sie nichts wie weg wollte aus ihrem Milieu, das sie wie eine Zwangsjacke beengte, und sie sich deshalb mit der Verzweiflung einer Schiffbrüchigen an Nico festhielt.
Zu Hause angekommen, erklärte dein Bruder, die Polsteransammlung in der Küche sei vielleicht doch entbehrlich, weil sich die Dinge zwischen ihnen geändert hätten. Also steckte ich die beiden in ein Zimmer. Meine Mutter zog mich am Arm ins Bad.
»Wenn dein Sohn sich für dieses Mädchen entschieden hat, wird er wissen, warum. Du hast sie zu mögen und den Mund zu halten.«
»Aber sie raucht Pfeife, Mama!«
»Besser als Opium.«
Mir sollte es kinderleicht fallen, Celia zu mögen, obwohl ihre waghalsige Offenheit und ihre ruppigen Manieren mich schockierten – in Chile reden wir immer um den heißen Brei herum, und unser Benehmen ist ein einziger Eiertanz – und Celia uns schon nach einer knappen halben Stunde ihre Ansichten dargelegt hatte über minderwertige Rassen, linke Spinner, Atheisten, Künstler und Homosexuelle, die allesamt pervers seien. Sie bat mich, sie vorzuwarnen, sollte jemand, der zu einer dieser Kategorien gehörte, zu Besuch kommen, damit sie sich aus dem Staub machen könne, aber noch am selben Abend brachte sie uns mit schlüpfrigen Witzen zum Lachen, wie wir sie seit den unverkrampfen Zeiten in Venezuela nicht mehr gehört hatten, wo es zumGlück die Vorstellung vom »politisch Korrekten« nicht gibt und man sich lustig machen kann, worüber man will, und dann holte sie ihre Gitarre aus dem Koffer und sang mit ergreifender Stimme die besten Stücke aus ihrem Repertoire. Sie eroberte uns im Sturm.
Kurze Zeit später gaben sich Celia und Nico in Caracas das Jawort in einer gestelzten Feierlichkeit, bei der du schließlich wegen Übelkeit im Badezimmer landetest, aus reiner Eifersucht, wie ich glaube, weil du deinen Bruder nicht mehr exklusiv für dich hattest. Unsere Familie verabschiedete sich früh, weil wir dort nicht hinpaßten. Wir kannten fast niemanden, und Nico hatte uns vorgewarnt, daß die Verwandten der Braut wenig für uns übrig hätten: Wir waren politische Flüchtlinge, hatten wegen Pinochet unser Land verlassen und mußten folglich Kommunisten sein, besaßen nicht genügend Geld und gesellschaftliches Prestige und gehörten nicht dem Opus Dei an, ja waren nicht einmal praktizierende Katholiken.
Die Frischvermählten zogen in das Haus, das ich in meiner Zeit in Caracas gekauft hatte, zu groß für die beiden, und ein Jahr später kam Alejandro, dein erster Neffe, zur Welt. Hals über Kopf verließ ich San Francisco, reiste viele Stunden, die in meiner gespannten Erwartung kein Ende nehmen wollten, und konnte den Kleinen, eben frisch zur Welt gekommen, nach Muttermilch und Babypuder riechend, in die Arme schließen, während ich aus den Augenwinkeln mit wachsendem Staunen meine Schwiegertochter und meinen Sohn betrachtete. Sie waren zwei kleine Kinder, die mit Puppen spielten. Dein Bruder, noch vor kurzem ein leichtsinniger Junge, der seinen Hals beim Bergsteigen riskierte oder im offenen Meer zwischen Haien schwamm, wechselte jetzt Seite an Seite mit seiner Frau Windeln, kochte Fläschchen aus und backte Pfannkuchen fürs Frühstück.
Getrübt wurde das Leben der beiden allein dadurch, daßihr Haus bei Langfingern hoch im Kurs stand. Etliche Male wurde eingebrochen, drei Autos verschwanden aus der Garage, und die Alarmanlagen, die Gitter vor den Fenstern und der unter Strom stehende Gartenzaun, der jede Katze gegrillt hätte, die ihn versehentlich mit den Schnurrhaaren streifte, halfen schon lange nicht mehr. Wenn die beiden nach Hause kamen, wartete Celia mit dem Säugling im Arm bei laufendem Motor im Auto, während Nico ausstieg und mit der Pistole in der Hand, wie in einem Gangsterfilm, das Haus von oben bis unten absuchte, um sicherzugehen, daß nicht irgendwo ein Schwerverbrecher lauerte. Sie lebten in Angst und Schrecken, was mir sehr gelegen kam, weil ich sie im Handumdrehen überreden konnte, nach Kalifornien zu ziehen, wo sie in Sicherheit wären und Unterstützung hätten. Zusammen mit Willie richtete ich ihnen eine entzückende Wohnung ein, eine Künstlermansarde in einem Haus hoch oben auf einem Hügel, mit einem
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