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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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der Klinik fürPlastische Chirurgie seinen Anfang, was wir in der Familie die »Busen-Odyssee« nennen, eine böse Pannenserie, deren einziger Vorteil darin lag, meine Freundschaft mit Tabra zu festigen.
    Als es dunkel wurde, entfachten wir unter den Bäumen ein Lagerfeuer und grillten auf Stöcken Würstchen und Marshmallows. Dann zündeten wir einen der Joints an, die zu besorgen uns einige Mühe gekostet hatte. Tabra zog zweimal, verkündete, von dem Gras werde sie meditativ, schloß die Augen und sank in Tiefschlaf. Wir schleppten sie ins Haus, ließen sie dort, in eine Wolldecke gemummelt, auf dem Boden liegen und kehrten zurück unter die duftenden Bäume im Garten. Es war Vollmond, und der vom Regen angeschwollene Bach plätscherte über die Steine in seinem Bett. Celia sang zur Gitarre ihre schwermütigsten Lieder, und Großmutter Hilda griff zwischen Joint und Joint zum Strickzeug; die erhoffte Wirkung blieb aus, wir schwebten nicht auf Wolken, sondern mußten nur kichern und wurden nicht müde. Also blieben wir in Tabras Wald und erzählten uns unser Leben, bis der Morgen graute und Großmutter Hilda sagte, es sei Zeit für einen Whisky, da einem das Marihuana nicht einmal die durchgefrorenen Knochen wärme. Als Tabra zehn Stunden später erwachte und den Aschenbecher in Augenschein nahm, schätzte sie, daß wir ein Dutzend Joints geraucht hatten, die offenbar ohne Wirkung geblieben waren, woraus sie bewundernd schloß, wir seien unverwüstlich. Großmutter Hilda vermutete, die Joints seien mit Stroh gefüllt gewesen.

Der Engel des Todes
    Im Herbst jenes Jahres, als wir daheim eine ungewohnt friedliche Stimmung atmeten und schon drauf und dran waren, uns in gefährlicher Zufriedenheit einzurichten, kam ein Engel des Todes zu Besuch. Er kam in Gestalt von Jennifers Lebensgefährte, der ganz durcheinander war und das aufgedunsene Gesicht eines schweren Trinkers hatte. In seinem schleppenden Slang, den auch Willie nur mit Mühe verstand, teilte er uns mit, Jennifer sei verschwunden. Seit drei Wochen habe sie nichts von sich hören lassen, zuletzt sei sie bei einer Tante in einer anderen Stadt gewesen. Die Tante habe sie angeblich das letzte Mal zusammen mit ein paar wenig vertrauenerweckenden Typen gesehen, die in einem Pickup vorbeigekommen waren, um sie abzuholen. Willie erinnerte den Mann daran, daß oft Monate vergingen, ohne daß Jennifer sich meldete, aber der sagte nur wieder, sie sei verschwunden und außerdem sehr krank gewesen und in ihrem Zustand gewiß nicht weit gekommen. Willie begann eine systematische Suche in Gefängnissen und Krankenhäusern, er sprach mit der Polizei und den Bundesbehörden, für den Fall, daß seine Tochter sich in einem anderen Bundesstaat aufhielt, und er engagierte einen Privatdetektiv, alles ohne Erfolg, während Fu und Grace die Mitglieder des Zentrums für Zen-Buddhismus und ich meine Mitschwestern vom Durcheinander um Fürbitte bat. Für mich war an der Geschichte, die dieser Mann uns erzählt hatte, etwas faul, aber Willie versicherte mir, in solchen Fällen richtete sich der erste Verdacht der Polizei immer gegen den Lebensgefährten, zumal wenn er ein so umfassendes Vorstrafenregister besäße wie dieser. Bestimmt habe man ihn gründlich überprüft.
    Es heißt, nichts sei schmerzhafter als der Tod des eigenenKindes, aber ich glaube, es ist schlimmer, wenn das Kind verschwindet, weil die Ungewißheit über sein Schicksal für immer bleibt. Ist es gestorben? Hat es gelitten? Man nährt die Hoffnung, daß es am Leben ist, und fragt sich doch immer, wie dieses Leben aussehen mag und weshalb das Kind sich nicht meldet. Jedesmal wenn das Telefon spätabends klingelte, raste Willies Herz vor Hoffnung und Furcht: Vielleicht würde er Jennifers Stimme hören, die ihn bat, sie irgendwo abzuholen, vielleicht aber auch die Stimme eines Polizisten, die ihn ins Leichenschauhaus bestellte, um eine Tote zu identifizieren.
    Monate später fehlte von Jennifer noch immer jede Spur, aber Willie klammerte sich an den Gedanken, daß sie am Leben war. Ich weiß nicht mehr, wer ihm riet, eine Seherin aufzusuchen, die der Polizei ab und zu bei Ermittlungen half, weil sie die Gabe besaß, Leichen und verschwundene Personen zu finden, jedenfalls landeten wir beide irgendwann in der Küche eines ziemlich heruntergekommenen Hauses am Hafen. Die Frau sah nicht aus, wie man sich eine Hellseherin vorstellt, keine sternenbestickten Röcke und dick geschminkten Augen und keine Kristallkugel weit

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