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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Philosophie war: »Wir sind unermeßlich reich«, doch zwang ihn die schiere Not dazu, sehr vorsichtig mit Geld umzugehen. Er hatte vor, das Leben in stilvoller Pracht zu genießen, und holte das Äußerte aus jedem Centavo seines schmalen Diplomatengehalts heraus, denn es mußte für seine vier eigenen Kinder und die drei meiner Mutter reichen. Onkel Ramón teilte das Geld für den Monat auf und steckte die säuberlich abgezählten Scheine in Umschläge, mit denen die Ausgaben jeder Woche beglichen werden mußten. Konnte mal hier ein bißchen, mal da ein bißchen eingespart werden, ging er mit uns Eis essen. Meine Mutter, die immer als modebewußt galt, nähte ihre Sachen selbst und änderte dieselben Kleider wieder und wieder um. Die beiden führten, wie in diplomatischen Kreisen nicht zu vermeiden, ein reges gesellschaftliches Leben, und sie besaß als Grundausstattung ein Ballkleid aus grauer Seide, das sie durch angesetzte Ärmel,durch Gürtel und Schleifen ständig veränderte, so daß es auf den Fotos von damals aussieht, als trüge sie stets etwas anderes. Keiner von beiden wäre auf die Idee gekommen, Schulden zu machen. Onkel Ramón verdanke ich die nützlichsten Handreichungen fürs Leben, wie ich in reifen Jahren in der Therapie herausfand: ein selektives Gedächtnis, um ausschließlich Gutes in Erinnerung zu behalten, vernünftige Bedachtsamkeit, um das Heute nicht zu ruinieren, und trotzige Zuversicht, um der Zukunft entgegenzusehen. Außerdem hat er mir Pflichtgefühl mitgegeben und mir beigebracht, mich nicht zu beklagen, weil das der Gesundheit abträglich ist. Er ist mir der beste Freund gewesen, es gibt nichts, was ich nicht mit ihm geteilt hätte. Wegen der Art, wie ich erzogen wurde, und der Unwägbarkeiten des Exils besitze ich ein bodenständiges Verhältnis zum Geld. Ginge es nach mir, ich würde mein Erspartes unter der Matratze verstecken wie Tabras Annoncenbekannter seine Silberbarren. Mir wurde angst und bange, wenn ich meinem Mann dabei zusah, wie er Geld ausgab, aber sobald ich nur die Nasenspitze in seine Angelegenheiten steckte, gab es Streit.
    Als das Manuskript von Paula unterwegs nach Spanien und dort schließlich sicher und wohlbehalten in den Händen meiner Übermutter-Agentin Carmen Balcells war, überkam mich große Müdigkeit. Ich hatte mit meiner Familie alle Hände voll zu tun, mit Reisen, Vorträgen und dem Papierkrieg in meinem Büro, der erschreckende Ausmaße angenommen hatte. Viel Zeit schien mir vergeudet, ich drehte mich auf der Stelle wie ein Hund, der dem eigenen Schwanz nachjagt, brachte wenig zuwege, das der Mühe wert gewesen wäre. Oft versuchte ich zu schreiben, hatte sogar die Recherchen zu einem Roman über den Goldrausch in Kalifornien weitgehend abgeschlossen, aber ich setzte mich, den Kopf voller Einfälle, vor den Computer und war doch unfähig, etwas davon auf den Bildschirm zu bannen. »Du mußt Geduld mit dir haben, du bist noch in Trauer«,erinnerte mich meine Mutter in ihren Briefen, und dasselbe wiederholte mir auch Großmutter Hilda sanft, die in jenen Tagen mal in Chile bei ihrer Tochter, mal bei uns oder bei Nico in Kalifornien wohnte. Diese gute Seele, die Mutter von Hildita, der ersten Frau meines Bruders Pancho, war zur Großmutter erklärt worden, weil wir sie alle im Herzen adoptiert hatten, zuerst natürlich Nico und du, denn euch beide hat sie vom Tag eurer Geburt an verwöhnt. Mir hat sie bei jeder Verrücktheit beigestanden, die mir in jungen Jahren in den Sinn kam, und euch beide hat sie durch jedes Abenteuer begleitet.

Marihuana und Silikon
    Unermüdlich, klein und vergnügt, hatte Großmutter Hilda ein Leben lang Wege gefunden, alles zu vermeiden, was ihr hätte bedrohlich werden können; anders kann ich mir ihren engelsgleichen Charakter unmöglich erklären: Sie sprach nie schlecht über andere, suchte vor Auseinandersetzungen das Weite, ertrug klaglos anderer Leute Dummheit und konnte sich nach Belieben unsichtbar machen. Einmal schleppte sie zwei Wochen eine Lungenentzündung mit sich herum, und erst als ihre Zähne zu klappern begannen und der Fieberschweiß ihre Brille beschlug, merkten wir, daß sie drauf und dran war, sich ins Jenseits davonzumachen. Zehn Tage lag sie, stumm vor Schreck, in einem kalifornischen Krankenhaus, in dem niemand Spanisch sprach, wenn wir sie aber fragten, wie es ihr gehe, sagte sie, alles sei wunderbar und der Wackelpudding und der Joghurt würden besser schmecken als in Chile. Sie lebte in einem

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