Das Siegel der Tage
die fröhlich sind.« Das hast du geschrieben, Tochter. Cheri Forrester weinte in Strömen um ihre Mutter, die in deinem Alter war, als sie starb, und dir zum Verwechseln ähnlich gesehen haben muß.
Ich hatte mir vorgenommen, an diesem denkwürdigen Tag das Wort »Ende« unter mein Manuskript zu setzen und dir das Buch als Geschenk darzubringen. Fu segnete den von einem roten Band zusammengehaltenen Packen Papier, und danach stießen wir mit Champagner an und aßen Schokoladentorte. Wir waren bewegt, obwohl es eigentlich keine Trauerfeier war, sondern eher ein kleines Fest ohne Tamtam. Wir waren froh, daß du nach all der Zeit, gefangen in deinem Körper, endlich frei warst.
Traurigkeit. Unser Therapeut hatte Willie und mir die Augen für die Traurigkeit in unserem Leben geöffnet, doch war sie kein lähmendes Gefühl, sondern das Bewußtsein für die Verluste und Schwierigkeiten, die unseren Alltag einfärbten. Oft mußten wir die Last neu zurechtrücken, um unseren Weg weitergehen zu können und nicht zu stürzen. Vieles war durcheinander, wir fühlten uns ständig wie mitten in einem Sturm, als müßten wir Fenster und Türen verrammeln, damit die unheilvollen Böen nicht alles hinwegfegten.
Willies Kanzlei arbeitete auf Pump. Er nahm aussichtslose Fälle an, gab mehr aus, als er verdiente, beschäftigte eine Kompanie unbrauchbarer Angestellter und hatte Ärgermit der Steuer. Er war ein miserabler Geschäftsmann, und Tong, sein treuer chinesischer Buchhalter, konnte ihn nicht zur Raison bringen. Durch mich war etwas Stabilität in sein Leben gekommen, ich konnte ihm über Engpässe hinweghelfen, übernahm die Ausgaben für unser Haus, brachte die Bankkonten in Ordnung und zog die meisten Kreditkarten aus dem Verkehr. Willie verlegte sein Büro von San Francisco in ein viktorianisches Haus, das ich in Sausalito, dem malerischsten Ort der Bucht, gekauft hatte. Das Gebäude war um 1870 gebaut und durfte sich eines bemerkenswerten Vorlebens rühmen: Es war das erste Bordell am Ort gewesen, wurde später als Kirche genutzt und danach als Fabrik für Schokoladenkekse, ehe es schließlich, völlig heruntergekommen, in unsere Hände gelangte. Laut Willie war das ein steter gesellschaftlicher Abstieg gewesen. Es lag abgeschirmt zwischen alten und morschen Bäumen, die beim ersten Herbststurm auf die Häuser der Nachbarn zu stürzen drohten. Wir waren gezwungen, einige davon fällen zu lassen. Die Baummörder rückten an, kletterten mit ihren Sägen und Äxten in die Kronen, baumelten an Seilen von den Ästen und zerstückelten ihre Opfer, die klaglos bluteten und starben. Ich suchte das Weite, konnte das Gemetzel nicht mit ansehen. Am nächsten Tag erkannten wir das Haus nicht wieder: Nackt und verletzlich stand es da, das Holz von Zeit und Termiten zerfressen, die Dachschindeln verrutscht, die Holzrollos aus den Schienen. Die Bäume hatten den Verfall verborgen, ohne sie glich das Haus einer verlebten Kurtisane. Willie rieb sich begeistert die Hände, denn in einem früheren Leben ist er Baumeister gewesen, einer von denen, die Kathedralen errichteten. »Wir sorgen dafür, daß es wieder so schön wird, wie es ursprünglich war«, sagte er und ging auf die Suche nach den alten Plänen, um dem Haus seinen viktorianischen Charme zurückzugeben. Das ist ihm vollständig geglückt, denn trotz der Schändung durch die Baumaschinen atmen seine Wände heute wiederden Duft des französischen Parfums der Huren, des Weihrauchs der Messen und den von Schokoladenkeksen.
Wo die Schönen der Nacht ihre Kunden einst alle Sorgen vergessen ließen, wägt Willie heute seine juristischen Möglichkeiten ab. Wo früher die Kutschen untergestellt waren, rang ich über Jahre mit meinen literarischen Gespenstern, bis ich zu Hause meinen eigenen kleinen Bau bekam, in dem ich heute schreibe. Willie nutzte den Umzug, um sich der Hälfte seiner Angestellten zu entledigen, und konnte nun seine Fälle besser auswählen, aber die Kanzlei war nach wie vor chaotisch und wenig rentabel. »Du kannst einnehmen, soviel du willst, du gibst zu viel aus. Rechne es nach, Willie, du arbeitest für einen Dollar die Stunde«, sagte ich ihm. Die Rechnung gefiel ihm gar nicht, aber Tong, der seit dreißig Jahren für ihn arbeitete und ihn mehr als einmal um Haaresbreite vor dem Ruin bewahrt hatte, gab mir recht. Ich bin bei einem baskischen Großvater aufgewachsen, der penibel aufs Geld schaute, und später bei Onkel Ramón, der vom Allernötigsten lebte. Seine
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