Das Siegel der Tage
mit einem wunderbaren Mann verheiratet und habe drei Kinder, die ich um nichts in der Welt hergeben würde. Vielleicht kannst du dir vorstellen, daß ich lange darüber nachgedacht habe, ob ich es dir sagen soll. Das ist keine Entscheidung, die man auf die leichte Schulter nimmt. Ich will Nico und den Kindern nicht weh tun.«
»Mich wundert, daß du damit ausgerechnet zu mir kommst, ich bin deine Schwiegermutter. Meinst du nicht, daß du unbewußt …?«
»Komm mir nicht mit diesem Psycho-Quark! Du und ich haben uns immer alles erzählt«, fiel sie mir ins Wort. Und sie hatte recht.
Ich verbrachte eine Woche unter gräßlicher Anspannung, aber das war nichts verglichen mit dem, was Celia und Sally durchmachten, die entscheiden mußten, wie es weitergehen sollte. Sie hatten zusammen unter einem Dach gelebt, arbeiteten zusammen, teilten Kinder, Geheimnisse, Interessen und Vergnügungen miteinander, waren von ihrem Wesen her jedoch sehr verschieden, und vielleicht rührte daher die gegenseitige Anziehung. Großmutter Hilda hatte zu mir gesagt, daß »diese Mädchen sich sehr mögen«. In ihrer stillen, zurückhaltenden, fast unsichtbaren Art entging ihr nichts. Hatte sie mich warnen wollen? Unmöglich zu sagen, boshaft waren die Bemerkungen dieser taktvollen alten Dame jedenfalls nie gemeint.
Das Geheimnis, und was ich damit anfangen sollte, lastete schwer auf mir, während ich den Truthahn für Thanksgiving nach einem neuen Rezept vorbereitete, das mir meine Mutter geschickt hatte. Dazu wurde jede Menge Kräuter mit Olivenöl und Zitronensaft im Mixer püriert, man injizierte dem Vogel die grüne Paste mit einer Spritze zwischen Haut und Fleisch und ließ ihn dann achtundvierzig Stunden marinieren.
Sally gab die Arbeit in meinem Büro auf, aber wir sahen uns fast jeden Tag, wenn ich bei meinen Enkeln vorbeiging, weil sie viel Zeit dort verbrachte. Ich versuchte, sie und Celia nicht anzustarren, spürte aber einen Stich in der Brust, wenn die beiden einander zufällig berührten. Willie, von der langen Reise durch Indien und den Nachwehen seiner Darminfektion noch nicht ganz erholt, hielt sich im Hintergrund und hoffte, die Begierden würden sich in Luft auflösen.
Zum Glück bekam ich einen Termin bei meinem Therapeuten, den ersten seit langem, denn er war in den Süden von Kalifornien gezogen, zu Thanksgiving aber ein paar Tage in San Francisco, um mit seiner Familie zu feiern. Weil er seine Praxis nicht mehr hatte, trafen wir uns in einem Café, und während er seinen grünen Tee und ich meinen Cappuccino trank, setzte ich ihn über die letzten Folgen unserer Familien-Soap ins Bild. Er fragte mich, ob ich noch ganz bei Trost sei, was mir einfalle, in dieser Situation quasi als Kupplerin zwischen Celia und Sally zu fungieren; das sei kein Geheimnis, das zu wahren mir zustehe.
»Sie sind die Mutter, in diesem Fall eine Schlüsselfigur: Mutter von Nico, Stiefmutter von Jason, Schwiegermutter von Celia, Großmutter der Kinder. Und zukünftige Schwiegermutter von Sally, wenn das nicht passiert wäre.«
»Das bezweifele ich, ich glaube nicht, daß Sally Jason geheiratet hätte.«
»Darum geht es nicht, Isabel. Sie müssen den beiden die Stirn bieten und verlangen, daß sie Nico und Jason die Wahrheit sagen. Setzen Sie ihnen eine kurze Frist. Wenn die beiden es nicht sagen, müssen Sie es tun.«
Ich befolgte den Rat, und die Frist endete genau an dem langen Wochenende von Thanksgiving, das den Amerikanern heilig ist.Zum Fest sollte die Familie erstmals seit Monaten wieder zusammenkommen, auch Ernesto hatte sich angekündigt und uns wissen lassen, er habe sich in eine Arbeitskollegin verliebt, sie heiße Giulia und er wolle sie nach Kalifornien mitbringen, um sie der Familie vorzustellen. Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig. Ernesto würde zunächst allein aus New Jersey kommen und Giulia dann einen Tag später, was uns Gelegenheit gab, ihn schonend vorzubereiten. Wenigstens würden Fu und Grace mit Sabrina im Zentrum für Zen-Buddhismus feiern – drei Zeugen weniger. Willie und ich waren zu mitgenommen, um auch nur einen brauchbaren Rat zu geben. Ich verstehe bis heute nicht, wie wir dieses gräßliche Wochenende ohne Handgreiflichkeiten hinter uns brachten. Celia schloß sich mit Nico ein, und wie sie es ihm sagte, weiß ich nicht, nur daß sie es unmöglich diplomatisch tun oder die Kränkung abmildern konnte. Sie würde ihm und den Kindern weh tun, wovor sie solche Angst hatte. Ich glaube, Nico war sich der
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