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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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unverwechselbare Stimme. Sie ließ mir nicht die Zeit, zu fragen, was passiert war.
    »Es sieht aus, als wäre ich bisexuell«, verkündete sie mir mit bebender Stimme.
    »Was ist?« kam es schlaftrunken von Willie.
    »Nichts. Celia ist dran. Sie sagt, sie ist bisexuell.«
    »Ach!« schnaufte mein Mann und schlief weiter.
    Sie hatte mich wahrscheinlich angerufen, damit ich sierettete, aber mir fiel kein Zauber ein, der ihr in diesem Moment hätte helfen können. Ich bat meine Schwiegertochter, keine überstürzten Entscheidungen zu treffen, immerhin seien wir ja alle mehr oder weniger bisexuell, und wenn sie neunundzwanzig Jahre alt hatte werden müssen, um das herauszufinden, könne sie gut auch noch warten, bis wir zurück in Kalifornien seien. Eine solche Angelegenheit verdiene es, im Familienkreis besprochen zu werden. Ich verfluchte die Entfernung, die es mir verwehrte, ihr Gesicht zu sehen, und versprach ihr, daß wir versuchen würden, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, auch wenn ich um drei Uhr in der Früh nicht viel tun konnte, um unsere Flüge umzubuchen, ein Unterfangen, das in Indien schon tagsüber kompliziert genug ist. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen, deshalb kehrte ich nicht in das schleierumwehte Bett zurück. Ich traute mich auch nicht, Tabra zu wecken, die ein anderes Zimmer auf demselben Stockwerk bewohnte.
    Ich ging hinaus auf den Balkon, um auf einer buntbemalten Holzschaukel zwischen topasfarbenen Seidenkissen auf den Sonnenaufgang zu warten. Ein Kletterjasmin und ein Baum mit großen weißen Blüten verströmten diesen Kurtisanenduft, den ich im Zimmer wahrgenommen hatte. Celias Eröffnung verhalf mir zu einer sonderbaren Hellsicht, als könnte ich mich und meine Familie losgelöst, aus der Vogelperspektive betrachten. »Meine Schwiegertochter ist doch immer für eine Überraschung gut«, sagte ich mir leise. Das Wort »bisexuell« konnte bei ihr alles mögliche bedeuten, war aber in keinem Fall harmlos für die Meinen. Himmel, ich habe es hingeschrieben, ohne nachzudenken: die Meinen. So empfand ich sie alle, als meine, als mein Eigentum: Willie, meine Kinder, meine Schwiegertochter, meine Enkel, meine Eltern, selbst die Stiefkinder, mit denen ich mich von Scharmützel zu Scharmützel hangelte, gehörten mir. Es hatte mich so viel Mühe gekostet, sie zusammenzubringen,und ich war entschlossen, diese kleine Gemeinschaft gegen alle Schicksalsschläge und jede Pechsträhne zu verteidigen. Celia war eine unaufhaltsame Naturgewalt, niemand hatte Einfluß auf sie. Ich mußte mich nicht zweimal fragen, in wen sie sich verliebt hatte, die Antwort schien mir auf der Hand zu liegen. »Hilf uns, Paula, die Sache ist ernst«, flehte ich dich an, aber ich weiß nicht, ob du mich hörtest.

Nichts zu danken
    Das Desaster – wie soll ich es sonst nennen? – nahm Ende November seinen Lauf, genauer gesagt an Thanksgiving. Ich weiß, das klingt nach einem schlechten Scherz, aber man sucht sich die Tage für solche Angelegenheiten nicht aus. Willie und ich kehrten in aller Eile nach Kalifornien zurück, bis Flüge gefunden, die Tickets geändert und die Weiten der halben Welt umrundet waren, vergingen jedoch mehr als drei Tage. Als Celia nachts anrief, hatte ich Willie gesagt, was los war, aber am nächsten Morgen wußte er von nichts mehr, und ich mußte es ihm wiederholen. Er lachte darüber. »Diese Celia ist ein verrücktes Dumdumgeschoß«, sagte er, ohne sich klarzumachen, was die Mitteilung meiner Schwiegertochter für unsere Familie bedeuten konnte. Tabra mußte nach Bali weiter, und wir verabschiedeten uns ohne lange Erklärungen. In San Francisco holte Celia uns vom Flughafen ab, aber sie und ich sprachen die Sache erst an, als wir allein waren; Celia hätte Willie nicht ins Vertrauen ziehen wollen.
    »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß mir so was passiert, Isabel. Du weißt doch, wie ich über Schwule und Lesben gedacht habe.«
    »Ich weiß, Celia, wie sollte ich das je vergessen. Hast du mit ihr geschlafen?«
    »Mit wem?«
    »Mit Sally, mit wem sonst.«
    »Woher weißt du, daß sie es ist?«
    »Ach, Celia, unter uns Pastorentöchtern: Habt ihr miteinander geschlafen?«
    »Darum geht es doch nicht!« fuhr sie mich mit blitzenden Augen an.
    »Ich finde schon, daß es darum geht, aber ich kann mich täuschen … So ein Taumel geht vorbei, Celia, und er ist esnicht wert, daß man dafür eine Ehe zerstört. Du bist durcheinander, weil alles neu ist, weiter nichts.«
    »Ich bin

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