Das Siegel der Tage
über die Straße trugen, nicht Millionen von Frauen wie sie oder wie diese eine, die ich nicht vergessen kann, die an einem Winterabend in New York weinend auf der Fifth Avenue lag, aber ich versprach, daß ich wenigstens versuchen würde, ihr Los zu erleichtern, so wie du es getan hättest, denn dir schien keine gute Tat unmöglich. »Du mußt mit deinen Büchern viel Geld verdienen, Mama, damit ich den Armen ein Obdach geben kann, und du bezahlst alles, hast du einmal ganz im Ernst zu mir gesagt. Was ich an Geld für Paula bekommen hatte und weiter bekam, lag unangetastet auf einem Bankkonto, bis mir einfallen würde, was damit zu tun wäre. In diesem Moment wußte ich es. Ich überlegte, daß ich, wenn ich das Grundkapital mit jedem weiteren Buch aufstockte, etwas würde bewegen können, und auch wenn es, gemessen an der Not der Menschen, nur wie ein Wassertropfen in der Wüste wäre, würde ich mich zumindest nicht mehr ohnmächtig fühlen. »Ich werde eine Stiftung gründen, um Frauen und Kindernzu helfen«, kündigte ich Willie und Tabra noch am selben Abend an. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß aus diesem Samenkorn mit den Jahren ein Baum wachsen würde wie jene Akazie.
Eine Stimme im Maharadschapalast
Der Palast des Maharadschas, ein Traum in Marmor, erhob sich im Garten Eden, wo die Zeit nicht verstrich, das Wetter stets lind war und die Luft nach Gardenien duftete. Das Wasser der Springbrunnen plätscherte durch gewundene Kanäle, vorbei an Blumen, goldenen Vogelkäfigen, Sonnenschirmen aus weißer Seide und blau schillernden Pfauen. Mittlerweile gehörte der Palast einer internationalen Hotelkette, die klug genug gewesen war, seinen ursprünglichen Charme zu bewahren. Der Maharadscha, finanziell ruiniert, in seiner Würde jedoch ungebrochen, bewohnte einen Seitenflügel des Gebäudes, in dem er hinter einer Trennwand aus Schilf und violetten Bougainvilleen vor fremden Blicken geschützt war. Zu ruhiger Vorabendstunde pflegte er, eingerahmt von zwei Wächtern in imperialer Uniform, mit Säbeln am Gürtel und Federbusch am Turban, im Garten den Tee zu nehmen in Begleitung eines unreifen kleinen Mädchens, das nicht etwa seine Urenkelin, sondern seine fünfte Ehefrau war. In unserer Suite, die eines Königs würdig gewesen wäre, fand das Auge kein Fitzelchen Freifläche, um sich von der verschwenderischen Dekoration zu erholen. Der Balkon bot einen Blick über die ganze Pracht des Gartens und über die hohe Mauer, die ihn von den sich bis zum Horizont erstreckenden Elendsvierteln trennte. Nachdem wir wochenlang auf staubigen Wegen durchs Land gereist waren, konnten wir in diesem Palast nun alle viere von uns strecken, umwieselt von einem Heer lautloser Hotelangestellter, die unsere schmutzigen Kleider zum Waschen brachten, uns auf Silbertabletts Tee und Honigkuchen servierten und uns Schaumbäder einließen. Es war paradiesisch. Am Abend aßen wir köstliches indisches Essen, das Willie inzwischen nichts mehranhaben konnte, und danach fielen wir ins Bett, bereit, nie wieder aufzustehen.
Das Telefon klingelte um drei in der Früh – das zeigten die grünen Ziffern des Reiseweckers, die im Dunkeln leuchteten – und holte mich aus einem heißen und schweren Traum. Ich streckte die Hand aus und tastete vergeblich nach dem Apparat, fand aber schließlich den Schalter der Nachttischlampe. Ich wußte nicht, wo ich war, noch was diese durchsichtigen, über meinem Kopf wehenden Schleier zu bedeuten hatten oder die geflügelten Dämonen, die von der bemalten Decke herabgeiferten. Ich spürte, wie die feuchten Laken mir an der Haut klebten, und ein süßlicher Geruch, den ich nicht einordnen konnte, stieg mir in die Nase. Das Telefon klingelte beharrlich weiter, und mit jedem Ton wuchs meine Beklemmung, denn nur ein schlimmes Unglück konnte einen Anruf um diese Uhrzeit rechtfertigen. »Jemand ist gestorben«, sagte ich laut. »Ruhig, ruhig«, redete ich mir gleich darauf zu. Nico konnte es nicht sein, ich hatte schon ein Kind verloren, und nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit würde sich das in meinem Leben nicht wiederholen. Meine Mutter kam auch nicht in Frage, weil sie unsterblich ist. Vielleicht Nachricht von Jennifer … Hatte man sie gefunden? Das Klingeln lotste mich in die gegenüberliegende Zimmerecke, wo ich zwischen zwei Porzellanelefanten einen altertümlichen Apparat entdeckte. Von der anderen Seite des Planeten erreichte mich mit der Deutlichkeit einer bösen Vorahnung Celias
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