Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
Abscheu, Wut, alles staute sich in ihr an. Er war ein Kind. Er
kämpfte um sein Leben, versuchte doch nur den gottverdammten Tag zu überstehen
und das sollte die Art sein, ihn zu bestrafen? - Ihn fast totzuschlagen? Ihn im
Dreck liegen zu lassen und darauf zu hoffen, dass der nächste Regen sein Blut
von der Straße spülen würde?
Ihre
Hände ballten sich zu Fäusten. Nur mit Mühe konnte sie den aufquellenden Hass
unterdrücken, der drohte, ihr die Besinnung zu rauben.
Sie
würde ihn wieder sehn. Sie würde in das kantige Gesicht dieses widerwärtigen
Tyrannen blicken und ihm ein Messer ins Herz rammen. Es sollte das letzte Mal
gewesen sein, dass er Lisias oder einem der anderen Kinder jemals wieder so
etwas antun würde. Es war genug!
Sie
hasste sich für diese Gedankengänge. Jede einzelne Sekunde, wenn die Wut sie zu
solchen abscheulichen Taten treiben wollte, hasste sie sich selbst. Ein Gefühl,
das sie alles um sich herum vergessen ließ und nach und nach von ihrem Körper
Besitz ergriff. Es machte ihr Angst. Nur der Hass, den sie empfand, war noch
größer als die Furcht selbst.
Sie
hatte Menschen nie körperlich verletzt, geschweige denn jemanden getötet, doch
in Situationen wie diesen dachte sie genauso egoistisch wie jeder andere Mensch
es auch tun würde.
Rache
ist süß, würde man nun meinen, doch in ihrem Fall würde die Rache der
langersehnten Gerechtigkeit entsprechen.
Sie
würgte dieses unangenehme Empfinden runter, so wie sie es immer tat, weil sie
keinen anderen Ausweg sah und lächelte nun wieder. Eine Fassade, hinter der sie
all ihre Emotionen versteckte um anderen keine Sorgen zu bereiten und sie
konnte es, denn Lisias lächelte nun ebenfalls. Er strahlte sogar förmlich, als
sie ihm wieder den saftig roten Apfel reichte und er gierig hineinbiss. Für
einen Moment vergaß er alles um sich. Die Menschen, die wie Hyänen um ihn herumstreiften,
seine Kleidung, die nach verwesenden Tieren stank, die Verletzungen, die ihm
große Schmerzen bereiteten und die ganze Gegend, die zeigte, zu welch einem
erbärmlichen Leben er verurteilt wurde, sei es von den Göttern oder dem
Schicksal selbst, das alles zählte nicht, denn hatte man einmal dem Tode ins
Auge geblickt, wusste man, dass man sich nicht auf die göttliche Gnade eines
höheren Wesens verlassen konnte. Nur die eigene Stärke und der Wille zu
Überleben hatten die Waisenkinder bis hierher gebracht, doch mehr noch war es
etwas, das alle tief in ihren Herzen festhielten, etwas, das ihnen niemand
nehmen konnte - Die Hoffnung. Die Hoffnung, am nächsten Morgen die Wärme der
Sonne auf der Haut spüren zu können. Die Hoffnung, in der kommenden Nacht nicht
zu erfrieren oder dem Hunger zu erliegen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Sie alle hielten daran fest. Jeder einzelne von ihnen. Was anderes hatten sie
ja auch nicht. Was blieb Ihnen also übrig? Sie alle spürten die kalten Klauen
des Hades bereits über sich gleiten, hatten Dinge gesehen, die nicht für die
Augen kleiner Kinder gedacht sein sollten. Sie sahen, wie sich die Erde der
einst friedlichen Welt unter ihren Füßen auftat und alles verschlang, was sie
liebten.
Lisias
war gerade mal 5 Jahre alt, als er aus dem nahegelegenen Wald am Rande des
Dorfes Abdea, nicht weit von hier, zurückkam, um seinem schwerkranken Vater den
Speer zu zeigen, den er mit einem spitzen Stein aus einem langen Stock
geschnitzt hatte. Tage hatte er damit verbracht ihn anzufertigen, um seinem
alten Herrn zu zeigen, dass er trotz seines Alters dennoch ein aufmerksamer
Junge war und ihm das Waffenhandwerk seines Vaters ebenso wichtig war wie ihm,
doch als er das dunkle Dickicht hinter sich ließ, war ein Schlachtfeld alles
was er vorfand. Die hölzernen Häuser waren niedergerissen oder brannten
lichterloh. Einige Dorfbewohner lagen regungslos auf dem Erdboden, in ihrem
eigenen Blut. Abgeschlachtet wie Tiere, die es nicht wert waren zu leben. Die
kleine Hütte seiner Eltern am Rande des Holzfällerdorfes war niedergebrannt.
Seine Eltern hatte er seit jenem Tag nie wieder gesehen, dennoch blieb er bei
den Ruinen sitzen, wartete, in der verzweifelten Hoffnung, seine Eltern würden
kommen und ihn holen, doch dieser Tag sollte nie kommen.
Die
Athener Wachen, die wenige Tage später ins Dorf einmarschierten um nach Überlebenden
zu suchen, brachten ihn in die Polis, jedoch entkam er, bevor sie ihn im
Waisenhaus unterbringen konnten. Und nun war er hier, wie viele andere, die ein
ähnliches Schicksal
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