Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
zusammengeflickte Kleidung. Sie waren offensichtlich
arm und obdachlos.
‚Ihresgleichen‘,
so wie die vornehmen Bewohner nun sagen würden. Der Dreck der Polis lebte auf
den Straßen und ernährte sich von dem, was sie fanden, doch sie waren einfach
nur Menschen, wie alle anderen auch, die leben wollten. Nur das Äußere unterschied
sie. Das Offensichtliche, das sie schlussendlich zu Außenseitern werden ließ.
Die
junge Frau ging auf ihre Knie und übergab jedem Kind einen Apfel. Ein leichtes
Lächeln überkam sie dabei, als sie all die glücklichen Gesichter der Kinder
sah. Sie freuten sich, lachten, tanzten umher, als gäbe es nichts Schöneres. Es
war nur ein Apfel, eine kleine Geste, doch für sie bedeutete es nicht verhungern
zu müssen, noch nicht.
Aus
der Ferne sah sie bereits, dass noch ein Junge mit dunklen kurzen Haaren auf
sie zukam. Er war einer der Kleinsten, doch in seinen Augen lag etwas
magisches, das sie lange Zeit bei niemandem gesehen hatte. Nur ein einziges
Mal, vor vielen Jahren, doch der Schleier des Vergessens hatte sich über diese
verschwommene Erinnerung gelegt und ließ sie ganz langsam dahinsieden.
Kurz
vor ihr blieb der Kleine stehen und unterwarf sich ihrer Anwesenheit, als sie
die Schrammen in seinem Gesicht musterte. Er ging ihren Blicken aus dem Weg. Es
schien ihm unangenehm zu sein, ebenso wie ihr, denn sie wusste, woher diese
Verletzungen stammen. Dennoch versuchte sie stark zu sein, für ihn, für die
anderen und für sich selbst.
Erneut
griff sie in den Leinensack und holte einen letzten roten Apfel heraus. Er war
der Schönste von allen, saftig rot und glänzend, eine wahre Köstlichkeit.
Ohne
ein Wort über die Verletzungen zu verlieren, reichte sie dem kleinen Jungen den
Apfel und lächelte wieder leicht. In ihren Augen spiegelte sich das
Sonnenlicht, das auf der Wasseroberfläche der Pfütze munter auf und ab hüpfte.
„Du
warst die letzten Tage nicht hier. Ich dachte, die Blechmänner hätten dich
geholt …“, entfuhr es dem Kleinen dann leise als er zu Boden sah. Seine Stimme
klang erschöpft und dumpf. Er sah den Apfel nicht einmal an und versuchte mit
den Leinenfetzen, die er am Körper trug, seine Blessuren zu verdecken.
Die
junge Frau ließ ihre Hand mit dem Apfel wieder sinken und schien für einen
Moment erschüttert über seine Aussage.
„Sieh
mich an Lisias!“, forderte sie ihn nun mit einem wohltuenden Klang auf und
stützte sein Kinn mit ihrer rechten Hand leicht ab, sodass er ihr direkt in die
Augen blickte.
„Wie
du siehst lebe ich noch. Die Götter haben mir die Nahrungssuche in den letzten
Tagen nur nicht ganz so einfach gemacht. Es hat viel geregnet, wie du weißt“,
fuhr sie fort und lächelte ihn nun wieder leicht an. Es wirkte beruhigend auf
ihn, das wusste sie.
Er
machte sich immer große Sorgen, wenn sie einen Tag nicht kam, doch ebenso
sorgte auch sie sich um ihn. Er versuchte immer stark zu sein und die anderen
zu beschützen, dennoch war er ein kleiner Junge, ein Kind, das nicht versuchen
sollte, sich auf den Markt zu schleichen um Essen zu stehlen.
Sie
begutachtete sein blaues Auge, das ihr unter einigen braunen Strähnen auffiel,
nachdem er sie direkt anschaute. Es schien ihm große Schmerzen zu bereiten.
Ebenso
wie das blaue Auge, waren auch die Prellungen und Schürfwunden an Armen und
Beinen frisch, vielleicht ein oder zwei Tage alt. Er hatte es also wieder
getan, gegen ihren Willen, obwohl sie ihn ausdrücklich vor diesen Bestien
gewarnt hatte.
„Wie
viele waren es?“, fuhr sie nun mit sichtlicher Zurückhaltung fort, als sie ein
Stück ihres Gewandes einfach abriss, um sein Gesicht unter dem ganzen Dreck
hervorzuholen.
Es
war ein Thema, das sie nicht gerne ansprach und auf das der kleine Lisias auch
nicht gerne einging, doch er hatte bereits damit gerechnet.
„Vier
oder fünf … einer von Ihnen war dieser bärtige alte Mann.“
Die
junge Frau hielt kurz inne und schluckte den Kloß, der ihr im Hals stecken
geblieben war, runter, bevor sie sich wieder zusammenriss und in die schwarzen
ermüdeten Augen des Jungen blickte. Sie wirkten teilnahmslos, fern ab von
jeglicher Realität.
„Er
hat gelacht als sie auf mich einschlugen mit Brettern und Steinen, die auf dem
Boden herumlagen. Danach haben sie mich einfach im Dreck liegen lassen.“
Sie
atmete tief durch als sein Erlebnis wie ein Film vor ihrem inneren Auge vorbeizog.
Sie konnte nicht beschreiben, was in diesem Moment in ihr vorging. Trauer,
Entrüstung,
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