Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
verdreckten Gestalt, dem Parasit, war eine wunderschöne
junge Bewohnerin der höheren Gesellschaft geworden, die es verstand, sich
anzupassen.
Sie
erhob sich und klopfte den letzten Staub aus dem Gewand, ehe sie nach dem Sack
mit den Äpfeln griff und ihn unter dem langen Stoff versteckte. Sie blies die
Kerze aus, lief vorsichtig zur alten Holztür und spähte nach draußen. Die Sonne
stand mittlerweile weit über den Dächern Athens und erstrahlte in voller Pracht
am Himmelszelt. Die Erde der Straße war nass und in einigen Gruben hatte sich
das Regenwasser der vergangenen Nacht zu großen Pfützen zusammengeschlossen und
setzten die niedergetrampelten Wege teilweise komplett unter Wasser.
Als
die junge Frau sich sicher war, dass die Luft rein war, dass alle Wachen außer
Reichweite waren und niemand sie sah, wie sie die Schmiede verlassen würde,
schob sie die Tür auf und schlich sich nach draußen, doch ein unbehagliches
Gefühl überkam sie in dem Moment, als sie die dunkle Sicherheit der Schmiede
hinter sich ließ, indem sie von außen die Tür schloss und so den Gefahren, die
diese Welt zu bieten hatte, direkt in die Augen sehen musste. Es war nicht das
erste Mal, dass dieses Gefühl sie überkam. Es war immer so wenn sie die
Schmiede verließ und ihr klar wurde, dass diese ihr nun keinen Schutz mehr
bieten würde. Sie musste sich verstellen, eine von ihnen werden, eine vornehme
Athenerin, die immer mit erhobenem Haupt und einer eingebildeten
Selbstsicherheit durch die Straßen stolzierte. Ein Gedanke, der sie zum Würgen
brachte. Niemals würde sie eine von ihnen sein, denn niemals wollte sie eine
von ihnen werden.
Ebenso
wie die Verhaltensweisen der Wachen, hatte sie auch die der Bewohner studiert.
Jeden Tag beobachtete sie, wie sie sich verhielten, wie sie sich bewegten und
wie sie mit einander redeten, doch es war nicht ihre Natur. Es war nur ein
Mittel zum Zweck. Es war nur eine Täuschung um sich unbemerkt fortzubewegen.
Sie
hatte sich die Charaktere und Verhaltensweisen der Bewohner und Wachen
angeeignet, konnte somit allesamt täuschen und wurde zu einer undurchschaubaren
Bedrohung. Niemand wusste wer sie war und niemand wusste woher sie kam,
geschweige denn wohin sie wieder verschwand. Alle sahen nur das oberflächliche
Gebilde einer jungen hübschen Frau in einem edlen Gewand, ohne zu wissen, dass
hinter ihrer Fassade das kalte Herz eines Opfers schlug.
Das Mädchen hinter der Kutte
Als
sich die junge Frau schließlich gefasst hatte, lief sie die Straße in Richtung
Stadtmitte entlang. In der Ferne erhob sich das spitze Dach des Göttertempels,
der vor langer Zeit zu Ehren der Göttin der Weisheit erbaut wurde. Er war mit
Abstand das höchste Gebäude auf der Akropolis und strahlte an sonnigen Tagen
geradezu auf die Polis herab. Nur der Tempel des Zeus war etwas größer, befand
sich aber am Rande der ständig wachsenden Stadt und somit nicht auf der Stadtfestung.
Von ganz Oben hatte man einen perfekten Ausblick über die gesamte Polis und die
Felder, doch ebenso atemberaubend Athenes Tempel und die Aussicht war, waren es
auch die bewaffneten Wachen, die ringsherum positioniert wurden.
Seitdem
die Perser diesem Land den Krieg erklärt hatten, waren dort mehr Wachen
anzutreffen als im königlichen Palast. Es war das Heiligtum der Stadt, einer
Göttin geweiht, auf deren Schutz alle vertrauten, doch die junge Frau konnte
nicht auf den Schutz und das Mitgefühl der Götter hoffen. Sie sah tagtäglich
was auf den Straßen vor sich ging, wie viel Leid dennoch hinter dem Lächeln
jedes Bewohners steckte und was in der scheinbar ruhigen Polis vor sich ging,
wenn das Licht im letzten erleuchteten Haus am Ende einer endlos langen Straße
erlosch.
Für
Menschen wie sie gab es keine Ruhe. Sie kämpften morgens, wenn die Sonne im
Osten aufging, bis hin zum Abend, wenn die Dunkelheit über die Welt hereinbrach
und die letzten hellen Farben im Westen verschwanden. Menschen wie sie mussten
selbst nachts dafür kämpfen, dass sie am nächsten Morgen das Licht der Sonne
wiedererblicken würden, sei es gegen Feinde oder gegen den eigenen Körper, um
nicht zu verhungern.
Einige
Wachen kamen um die Ecke und sahen durch ihre silbern glänzenden Helme sofort
zu ihr auf. Es war unüblich, eine junge Frau in dieser Gegend zu sichten, doch
sie blieb in ihrer Rolle. Kein Muskel in ihrem Gesicht ließ erahnen, dass sie
nervös war oder gar Angst hatte. Sie lief einfach weiter und als die Männer nur
noch
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