Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
gefallen lassen?«, ruft sie ihrer Stute vorwurfsvoll zu. Diese lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie
läuft in gleichmäßigem Galopp. Vielleicht kennt sie ihren Gegner und weiß um dessen Alter und um seine begrenzten Kraftreserven.
Als sie auf Höhe der ersten Häuser von Offenau am anderen Ufer sind, beginnt die Stute aufzuholen. Erst kaum merklich, dann immer schneller. Juliana triumphiert und duckt sich noch tiefer hinab. Die Mähne schlägt ihr ins Gesicht, doch sie achtet nicht darauf. Sie fixiert nur den Schweif des dunkelbraunen Pferdes vor sich. Endlich, kurz bevor sie den Taleinschnitt erreichen, schiebt sich die Stute an ihrem Gegner vorbei und gewinnt mit drei Längen Abstand. Das Wasser spritzt nach beiden Seiten, als das Fräulein nahezu ungebremst durch das Bachbett prescht. Sie achtet nicht auf die Flecken, die den Saum ihres Kleides dunkel färben. Sie zügelt die Stute und reißt jubelnd die Arme in die Luft. »Gewonnen!«
Tilmann lächelt ein wenig verkniffen und versucht sich nicht anmerken zu lassen, dass er sich ärgert. »Ja, Ihr seid die Siegerin, ich gratuliere.« Er sieht sie nicht an, sondern lässt den Blick das enge Tal hinaufwandern, das die Leute »Mühlental« nennen. Nicht nur Wimpfen besitzt an diesem Bachlauf eine Wassermühle, auch Hohenstadt und Zimmerhof, auf dessen Hügel hinter den Höfen das neue Hochgericht aufragt.
»Gut, aber auf dem Rückweg werde ich Euch schlagen!«, sagt der Knappe voller Zuversicht und streift den Unmut ab.
Das Ritterfräulein schweigt. Es wird keinen gemeinsamen Ritt nach Ehrenberg zurück geben und somit auch keine Revanche, doch das sagt sie ihm nicht. Er wird es noch früh genug erfahren.
Die beiden Reiter von Burg Ehrenberg folgen der Schleife, die den Fluss sich erst nach Westen und dann, vor seinem Zusammentreffen mit der Jagst, nach Osten winden lässt. Hoch über ihnen ragen die Turmspitzen von Wimpfen auf den Felsen auf: die Türme der Stadtmauer, der Kirchturm und natürlich die drei Bergfriede der Pfalz. Den Dachreiter des Dominikanerklosters kann man von hier unten nicht sehen.
Ehe es zu schmerzlich für sie wird, wendet Juliana den Blick ab und betrachtet stattdessen zwei breite Kähne, die sich von Jagstfeld her anschicken, den Fluss zu überqueren. Die Menschen drängen sich dicht auf den beiden Gefährten, die die Ruderer von der Strömung den beiden Reitern entgegentragen lassen. Die Frauen tragen weiße oder schwarze Schleiertücher, die Männer haben das Haupt mit Hüten verdeckt. Auf dem ersten Kahn steht vorn am Bug eine längliche Holzkiste.
»Ein Sarg«, sagt Tilmann, der ihrem Blick gefolgt ist, und bringt sein Ross neben ihr zum Stehen. »Für die Leute von Jagstfeld ist es teuer geworden, ihre Toten unter die Erde zu bringen.«
Das Mädchen nickt und sieht zu, wie einer der Ruderer mit einem Seil in der Hand an Land springt, das Tau um einen Pfosten schlingt und die Fähre von der Strömung gegen die Uferböschung drücken lässt. Ja, es ist schon sehr lange Brauch, dass die von drüben ihre Toten in der Erde rund um die Marienkirche begraben, die hier zwischen der Berg- und der Talstadt Wimpfen auf freiem Feld steht. Früher konnte man die feierlichen Leichenzüge beobachten, wie sie – von einem Pfarrer mit einem Kreuz in Händen angeführt – über die Brücke zogen. Seit sieben Jahren müssen sich die Leichengesellschaften auf den Fähren der Apostelfischer zusammendrängen.
»Wollt Ihr hinüber?«, ruft ihnen der Fährmann zu. Die beiden schütteln die Köpfe. Er scheint erleichtert.
»Das trifft sich gut«, erklärt er seine sonderbare Reaktion. »Wir wollen rasch nach St. Peter, bevor die Feierlichkeiten vorüber sind.«
»Eine Feier?«, wundert sich Tilmann.
»Ja, der greise Stefan, der Älteste von uns Apostelfischern, ist vor zwei Wochen gestorben, und nun nimmt der Herr Dekan seinen Sohn Heiner feierlich in die Gemeinschaft auf, damit wir wieder zwölf sind, wie es die Regel des Stifts vorsieht.«
Die Zeremonie dauert an. Ungeduldig wippt Juliana auf den Fußballen und sieht sich in der Kirche um. Tilmann ist draußen geblieben, um die Pferde in den Stall zu bringen. Vermutlich sitzt er nun auf dem Lindenplatz bei den Krämern in der Sonne und verspürt nicht die geringste Lust, in die düstere Kirche zu kommen. Soll sie zu ihm hinausgehen? Es dauert sicher noch eine ganze Weile, bis der Dekan für sie Zeit hat. Gerade hebt der neue Fischer seine rechte Hand und schwört dem Stift Treue
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