Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
ummauerten Klosterbereich.
Juliana löffelte in Windeseile ihre Gemüsesuppe und schob sich Brot und Käse in den Mund. Die anderen hatten gerade erst ihre Schalen ein zweites Mal füllen lassen, als sich das Mädchen für die Nacht verabschiedete und in die Schlafkammer zurückzog. Noch war sie allein in dem Raum und wählte sich das Lager unter der offenen Fensteröffnung. Sie hoffte, die anderen würden noch lange bei ihrem wässrigen Wein sitzen. So hatte sie endlich Ruhe, um nachzudenken. Juliana schloss die Augen und ließ ihre Gedanken nach Hause wandern, zurück in die Vergangenheit, zu den Tagen, als die Tempelritter nach Wimpfen gekommen waren. Wie hatten sie sich verhalten? Was war gesprochen worden? Die Erinnerungen vermischten sich mit Traumfetzen.
Sie musste über ihren Gedanken wohl eingeschlafen sein, mit einem Mal jedoch verschwanden Burg Ehrenberg und Wimpfen mit seiner Kaiserpfalz. Juliana spürte das verschlissene Laken an ihren nackten Beinen und einen frischen Luftzug im Gesicht.
Was hatte sie geweckt? Sie war sich sicher, dass es noch mitten in der Nacht war. Kamen die anderen Pilger, um ihre Betten aufzusuchen? Hatten ihre Stimmen sie aus dem Schlaf gerissen? Das Mädchen lauschte. Alles war ruhig. Keine Stimmen, kein Schnarchen, dennoch warnte sie etwas davor, die Augen zu öffnen und zu zeigen dass sie erwacht war. Die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf. Nun raschelte es kaum hörbar neben ihrem Lager, und sie konnte jemanden atmen hören. Es war ein rascher, unregelmäßiger Atem, der ein wenig nach Wein roch. Es hörte sich an, als versuche sich die Gestalt zur Ruhe zu zwingen. Juliana war es, als müsse ihr Kopf bersten, so schwer fiel es ihr, sich nicht zu bewegen und keinen Laut von sich zu geben. Unauffällig hob sie eines der Augenlider ein Stück.
Draußen war es noch dunkel. Durch das Pergament des Fensters kam kein Licht herein. Die Öllampe an der Tür jedoch verbreitete so viel Helligkeit, dass das Ritterfräulein eine Gestalt sehen konnte, die vor ihrem Lager kauerte, starr, wie zur Salzsäule erstarrt, die Hand auf halbem Weg zu ihrem Gesicht erhoben.
Wer um alles in der Welt war das, und was wollte er? War er auf der Suche nach ihrem Bündel, um sie zu bestehlen? Auch das kam unter Pilgern nicht selten vor. Was sollte sie tun? So wie die Hand über ihr lauerte, würde er ihr sicher die Luft abdrücken, bevor er die Entdeckung seiner Tat hinnahm.
Juliana war es, als müsse sie ersticken, obwohl der Fremde sie noch nicht einmal berührt hatte. Sie atmete langsam und gleichmäßig, auch wenn ihre Brust nach mehr Luft schrie. Nun bewegte sich die Hand langsam auf sie zu. Sie konnte die Wärme spüren und den männlichen Schweiß riechen. Es kostete sie alle Überwindung, deren sie fähig war, nicht zusammenzuzucken,
als zwei Finger ihren Handrücken berührten. Es war nur ein Hauch, wie sie über ihre Haut strichen. Was tat er da und warum?
Die Hand hob sich wieder und wanderte zu ihrem Hals, wo ihr Hemd ein Stück verrutscht war und ein wenig mehr Haut freigab als gewöhnlich. Die Fingerkuppen strichen ihren Hals hinab, über das Schlüsselbein und bis zu ihrem Hemdsaum, der über die Schulter verlief.
Die Tür öffnete sich und ließ eine Gestalt mit einem Binsenlicht in der Hand ein. Der Mann vor ihrem Bett zuckte zusammen und warf den Kopf herum. Der Lichtschein erfasste sein Gesicht.
André!
20
Die Herren von St. Peter
Wimpfen im Jahre des Herrn 1307
J uliana atmet auf, als die Hufe der Pferde auf den Eichenbohlen erklingen. Das dumpfe Dröhnen ist ihr Musik, und die Anspannung fällt von ihr ab. Bis zum letzten Augenblick hat sie gefürchtet, die Mutter könnte den Ritt verbieten oder gar selbst mitkommen. Vielleicht hätte sie dagegen aufbegehrt, dass nur der Knappe Tilmann sie begleitet, wenn sie nicht mit Nervenfieber zu Bett liegen würde. Ruhe und ein dunkles Zimmer sind das Einzige, das in dieser Lage hilft – jedenfalls fühlt die Edelfrau nicht genug Kraft in sich, um mit der Tochter zu zanken. Vielleicht ist sie ja ganz froh, Juliana bei Dekan von Hauenstein in guter Obhut zu wissen, jetzt, da ihr der Ehegatte von ihrer Seite genommen wurde.
Kaum ist die Burg außer Sicht, gibt ihr Begleiter seinem Braunen die Sporen und jagt an dem Fräulein vorbei in die Flussaue hinab.
»Holt mich ein, wenn Ihr könnt!«, jauchzt Tilmann, der den Trübsinn, in den er seit dem Verschwinden seines Herrn gefallen war, offensichtlich überwunden
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