Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Hof. Wo soll sie mit der Suche anfangen? Der Dekan hat nichts zu ihr gesagt. Sie bleibt stehen und überlegt, wohin Johannes sich gewendet haben könnte, als er plötzlich aus dem Schlaf erwacht ist und keinen in der Kemenate vorgefunden hat.
In die Küche!, entscheidet sie und läuft sofort die Treppen hinunter, doch hier haben die Mutter und der Dekan schon jedes Fleckchen durchsucht. Anscheinend war er wirklich hier, denn eine Schale mit süßem Gebäck liegt zerbrochen vor dem Herd. Juliana kehrt in den Hof zurück. Überall scheinen Fackeln in der Nacht zu schweben, selbst auf den Mauergängen, in den Torhäusern und im Zwinger. Wie von selbst tragen sie ihre Füße über den Hof zu der niederen Baracke des Gesindes. Sie öffnet die Tür zum Waschhaus, in dem die Mägde für den Waschtag in großen Bottichen bereits die Leinen einweichen
lassen. Es ist dunkel hier drinnen und still. Nur ab und zu steigt ein leises Gluckern aus dem Laugenfass. Juliana fühlt, wie sich ihre Nackenhaare aufstellen und eine ungekannte Angst ihr das Herz zusammenpresst.
25
Über die Ocaberge
S ie brachen früh auf. Pater Bertran drängte sie und presste missmutig die schmalen Lippen zusammen, als Ritter Raymond umständlich sein Bündel packte und darauf bestand, das Schwert, das in der noch immer feuchten Hülle steckte, noch einmal gründlich einzufetten.
Auch Juliana konnte es kaum erwarten, ihre Herberge zu verlassen. Nicht nur, dass sie so schnell wie möglich einen sicheren Abstand zwischen sich und den fetten Mönch der Ermita bringen wollte. Wenn Fray Diego Recht hatte, dann war der Vater nur einen Tag voraus! Wenn in ihren Beinen doch nur mehr Kraft wäre, würde sie den Bergpass im Lauf nehmen!
Sie überquerten den Río Tirón und folgten dann einem seiner Zuflüsse durch ein ansteigendes Tal. Noch war die Luft kühl, der Berghang nicht zu steil. Juliana schritt weit aus und ließ sogar die asketische Gestalt des Paters hinter sich zurück. Warum trödelte Ritter Raymond heute so? Er und André blieben immer wieder zurück. Sie musste sich zügeln, um sie nicht mit harscher Stimme anzutreiben. In der Mitte ging Bruder Rupert. Seine muskulösen Beine bewegten sich gleichmäßig, ohne ständig innezuhalten und warten zu müssen, bis der Atem ruhiger wurde. Als sich der Bach und an ihm der Weg gabelte, war Juliana gezwungen, auf ihre Reisegefährten zu warten. Neben ihr erhob sich eine steile Wand. Graue Felsplatten wechselten mit verwitterten Lehmschichten, die an einigen Stellen zu Höhlen ausgewaschen waren. Auf halber Höhe entdeckte das Mädchen eine Kapelle, die unter einem Felsvorsprung fast völlig verschwand. Vor dem Eingang zu einer anschließenden Höhle konnte sie eine Gestalt erkennen.
»Unser junger Bursche hat es heute sehr eilig«, stellte Pater Bertran fest. »Der Weg nach Santiago ist noch weit. Du wirst es heute nicht mehr erreichen. Spare dir deine Kräfte!«
Bruder Rupert kniff seine braunen Augen zusammen und betrachtete das Mädchen. »Mir kommt unser Johannes heute auch ungewöhnlich forsch vor. Wenn ich meinen Blick zum Pass hinaufschweifen lasse, dann vermute ich jedoch, dass sein Übermut lange vor dem Abend gedämpft sein wird.«
Pater Bertran wählte die linke Abzweigung, die sich am Talhang emporwand.
»Dort oben in der Höhle steht ein Mann«, sagte André, der nun mit dem blonden Ritter herankam.
Juliana nickte. »Ich habe ihn gesehen. Was er dort oben wohl macht?«
»Er wohnt dort«, mischte sich Pater Bertran ein. »Das ist die Ermita Virgen de la Peña – der Felsenmadonna. Ein Schafhirte hat hier einst ein Licht entdeckt und im lehmigen Hang zu graben begonnen. Er stieß auf eine Höhle, in der er eine Glocke und eine Marienstatue fand. An dieser Stelle errichtete man die Kapelle, und ein paar Einsiedler ließen sich in den Höhlen nieder.«
Juliana schüttelte sich. »Wie kann man das aushalten? Was für ein Leben ist das in einer schmierigen, engen Höhle?«
»Zu Ehren des Herrn!«, sagte der Augustinerpater vorwurfsvoll. »Man kann sie nur bewundern, dass sie solch ein gottgefälliges Leben führen!«
»Mir scheint das eher verrückt«, murmelte Bruder Rupert.
Pater Bertran warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich frage Euch lieber nicht, aus welchem Kloster Ihr kommt. Vermutlich eines dieser Häuser, in denen Völlerei und Müßiggang gepflegt werden. Mehr ein Hurenhaus denn ein Kloster!«
Bruder Rupert neigte den Kopf. »Wenn Ihr es sagt«, antwortete er, doch
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