Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
der Dekan grimmig hinzu.
»Nun, dann werde ich Euch wohl um eine weitere gute Tat bitten, verehrter Freund, bevor Ihr das letzte Gebet für mich sprecht und meinen Tod betrauert, denn sterben werde ich müssen. Ihr wisst, wie stolz sie sind. Sie werden keine Ruhe geben, ehe ihr Ordensbruder gerächt ist. Bitte sorgt dafür, dass ein Schwert mir den Kopf vom Hals trennt. Der schimpfliche Makel des Galgens würde meiner Familie ewig anhängen.« Der Ehrenberger seufzt. »Es war dumm von mir anzunehmen, Gott könne vergessen. Der Allmächtige vergisst keine Tat. Er lässt sich nur manches Mal Zeit, bis er sein flammendes Schwert zückt, um es strafend herabsausen zu lassen. Ich habe es verdient und bin bereit, SEINE Entscheidung anzunehmen.«
»Redet keinen Unsinn«, fährt ihn Gerold von Hauenstein
an. »Der Herr vergisst nicht, da habt Ihr Recht, aber er vergibt.« Anklagend zeigt er auf die blutige Leiche zu ihren Füßen. »Das ist nicht die Strafe Gottes. So einfach dürfen wir es uns nicht machen. Wie leicht ist es, die Hände in den Schoß zu legen, und alles seinem Willen zuzuschreiben.«
»Einfach, sich dem Henker zu übergeben?«
»Nichts tun ist immer einfacher, als zu handeln!«
Kraft von Ehrenberg setzt zu Widerspruch an, aber der Dekan gebietet ihm zu schweigen.
»Ruhig jetzt, wir haben nicht viel Zeit. Es gibt eine andere Möglichkeit, und ich glaube, sie wird dem Allmächtigen gefallen. Wir haben schnell zu handeln. – Ihr müsst fort von hier, Freund, auf unbekannten Pfaden gehen, und nur der Herr im Himmel kann sagen, ob Ihr Euer Ziel erreicht und ob Ihr jemals zurückkehren werdet. Dann jedoch wäre Euer Name wieder rein.«
»Ich glaube, Ihr habt nicht verstanden, was ich Euch gesagt habe«, schnaubt der Ritter. »Ist Euer Gedächtnis so kurz?«
»Mit meinem Gedächtnis ist noch alles in Ordnung«, versichert ihm der Dekan, »und ich habe nicht nur sehr genau zugehört, ich habe Eure Worte auch verstanden. Ich denke an eine sehr lange Reise – durch Burgund und Frankreich, über die Pyrenäen hinüber, durch Navarra und León in Kastilien bis nach Galicien, wo das Ende der Welt zu finden ist.«
»Bis ans Ende der Welt?«, wiederholt der Ehrenberger.
»Nicht ganz. Die Pilgerreise geht bis zum Grab des heiligen Apostels, nach Santiago de Compostela.«
Kraft von Ehrenberg zieht scharf die Luft ein. »Santiago – Kastilien – ja, ich glaube, ich verstehe Euch.«
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Kloster Samamos 30
D er Vater verstummte. Juliana konnte nur noch seinen schweren Atem hören. Sicher litt er große Schmerzen, aber er beklagte sich nicht.
»Und so habt Ihr Euch zur Tarnung auf eine Pilgerreise der Sühne gemacht«, ergänzte das Mädchen und nickte. »Der Plan des Dekans war gut. Lange haben sie Euch geglaubt und nicht vermutet, Ihr könntet über die Verschwörung Bescheid wissen. Sie ärgerten sich, dass Ihr Euch – in den Augen der Templer – der Strafe für den Mord, den sie Euch angehängt hatten, entziehen konntet. Sie argwöhnten jedoch nicht, Ihr könntet den wichtigen Brief bei Euch tragen. Sie kamen unter einem Vorwand nach Ehrenberg und durchsuchten die ganze Burg. Auch im Haus des Dekans und in Wimpfen habe sie sich umgesehen.«
Der Vater runzelte die Stirn. »Dann wundert es mich aber, dass sie sich auf meine Fährte setzten.«
»Nun, es war nicht so sehr Eure Fährte. Sie folgten eher meiner« , gab die Tochter widerstrebend zu. »Ich fand den äußeren Umschlag in der oberen Kammer und nahm ihn mit, um ein paar Dinge zu verstauen, an denen meine Erinnerung hängt. Ich wurde beobachtet – ich vermute von dem Franzosen. Natürlich dachte er, ich hätte auch den Brief. Bevor er jedoch eine Gelegenheit fand, ihn mir abzunehmen, verschwand ich, um ebenfalls den Weg nach Santiago zu suchen. Wäre ich als Mädchen gegangen, sie hätten mich vermutlich schon am folgenden Tag eingeholt. So aber verschwand Juliana von Ehrenberg, und sie
konnten nur mutmaßen, dass ich mich auf die Suche nach Euch begeben hatte.«
Kraft von Ehrenberg nickte. »Ja, so wird es gewesen sein.«
Eine Weile herrschte Stille in dem runden Steinhaus mit dem Strohdach. Nur der rasselnde Atem des Ritters von Ehrenberg war zu hören.
»Vater? Wo ist dieser wichtige Brief nun, der so viele Tote forderte?«
Er erhob sich ein Stück und schob die Hand in seinen Pilgerrock. Als er sie wieder herauszog, hielt er ein schweres Stück Pergament mit zwei unversehrten Siegeln in den Händen. Unschlüssig nahm sie das
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