Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Titel: Das Siegel des Templers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
Wirt an, den sie vor Stunden – wie es ihr vorkam – nach dem Weg gefragt hatte. Juliana nickte. Er nannte ihr einen Preis, der viel zu hoch war, doch sie nickte und überließ ihm die Zügel des Pferdes. Eine Magd führte sie in eine schmutzige Kammer, in der dicht an dicht ein Dutzend Betten stand, alle bis auf eines bereits belegt. Juliana ließ sich, so wie sie war, auf die raue Wolldecke fallen. Sie nahm sich vor, nur ein paar Augenblicke zu ruhen und dann zur Kathedrale zu gehen, um mit den anderen Pilgern die Nacht über zu wachen, zu singen und zu beten, doch als sie die Augen wieder aufschlug, drang bereits das Licht des Morgens durch die dünnen Pergamentscheiben vor den Fenstern.

    Nachdem Juliana gegessen, getrunken und nach ihrem Pferd gesehen hatte, machte sie sich ein zweites Mal mit ihrem Brief
zum Palast auf. Diese Mal war der Wächter bereit, einen der wichtigen Männer des Hauses zu holen. Zum Bischof selbst ließ man sie wieder nicht vor. So blieb ihr nichts anderes übrig, als das Schreiben in die Hände des Mannes zu legen, der sich Mayordomo des Erzbischofs nannte. Sie würde nie erfahren, ob sich Don Rodrigo vor die Templer stellen – ja, ob ihn das Schreiben überhaupt erreichen würde.
    Juliana ging zu ihrem Quartier zurück und verschlief den Rest des Tages. Erst am Abend näherte sie sich wieder der Kathedrale. Seit der vergangenen Nacht regnete es, und es schien nicht so schnell wieder aufhören zu wollen. Der Wind trieb das Wasser durch die Gassen, verwirbelte es und sorgte dafür, dass Kapuzen, Mäntel und Beinlinge in wenigen Augenblicken durchweicht waren.
    Juliana umrundete das Gotteshaus und betrachtete es von allen Seiten, so als wolle sie den Moment, es zu betreten, so lange wie möglich hinauszögern. Am prächtigsten war der Anblick vom Platz an der westlichen Stadtmauer her. Juliana betrachtete die Fassade mit den beiden Türmen, über die der Regen herabrann. Sie sah die Pilger sich in der Vorhalle des torlosen Portals drängen und voller Ehrfurcht die fein gemeißelten Figuren betrachten.
    Es wurde dunkel. Viele der Pilger, die auf dem Platz im Regen knieten und beteten, erhoben sich und strebten den Portalen im Süden oder Norden zu. Juliana folgte ihnen langsam. Sie konnte den Augenblick nicht länger hinauszögern, und so ließ sie es zu, dass der Strom der menschlichen Leiber sie erfasste und ins Kirchenschiff zog.
    Das Licht unzähliger Kerzen, das sich in goldenen und silbernen Figuren und Baldachinen spiegelte, blendete sie. Die Luft war schwer von Weihrauchschwaden. Sie vermischten sich mit dem Rauch der Kerzen und waberten durch das hohe Kirchenschiff. Obwohl hier, wie in anderen Pilgerkirchen, ständig ein einfacher Servient der Chorherren mit einem Weihrauchfass das Gotteshaus durchquerte, konnte er die scharfen Ausdünstungen
der vielen Menschen nicht vertreiben, die sich hier Leib an Leib drängten. Dennoch vertrauten der Erzbischof und seine Kapitularen darauf, dass der Weihrauch Seuchen und andere Krankheiten, die die Pilger mit nach Santiago brachten, von der Kathedrale fern hielt.
    Juliana blinzelte und versuchte, den Hustenreiz zu unterdrücken. Die Menge wogte zum Westportal, unter dem der nächtliche Platz lag. Jeder Pilger legte seine Hand auf die Wurzel des Stamm Jesses. Die Steinsäule, auf der der Stammbaum Christi in einem Relief dargestellt war, zeigte an der Stelle, wo sie schon so viele Finger berührt hatten, glatt geschliffene Vertiefungen. Dann stiegen die Pilger einige Stufen hinauf, die sie von hinten zu der mächtigen Steinfigur des Apostels führte, die sich über dem Altar erhob. Sie umarmten Jakobus und setzten sich für ein paar Augenblicke die Krone auf, die das Haupt der Figur schmückte. Das Grab selbst oder gar die Reliquien des Apostels und seiner Jünger durften die Pilger nicht sehen. Sie waren irgendwo unter dem Altar in einer Gruft verborgen. Einige der Pilger murrten oder weinten gar vor Enttäuschung. Juliana ließ sich vom Strom der Pilger treiben. Sie fühlte sich wie betäubt und konzentrierte sich darauf, Luft zu bekommen.
    Aus dem Seitenschiff hörte sie deutsche Laute. Eine Pilgergruppe aus Schwaben, Franken und der Kurpfalz hatte sich zusammengefunden und stimmte einen Choral an. Juliana gesellte sich zu ihnen und summte mit. Wie gut taten die heimatlichen Stimmen ihren Ohren. Die Pilger legten Mäntel und Decken auf den Boden und packten Brot und Käse aus. Einige ließen Krüge mit Wein kreisen. Offensichtlich

Weitere Kostenlose Bücher