Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
nicht, fürchte aber das Schlimmste. Ohne einen Beschützer, der zur Not auch mit der Waffe in der Hand ihr Leben rettet, wird sie es nicht schaffen.«
Rupert überlegt. »Habe ich das richtig verstanden? Ihr wollt nicht, dass ich sie einfange und zurückbringe? Ihr wollt, dass ich mit ihr gehe – wenn notwenig bis nach Santiago?«
»Bis nach Santiago und zurück«, nickt der Dekan. »Ich weiß, ich kann dir nicht befehlen, aber ich bitte dich als dein Oheim, dein Gevatter und dein Freund. Wenn du zustimmst, werde ich mit dem Komtur sprechen.«
Das Kribbeln ist nun eindeutig das Gefühl freudiger Erregung, die er immer dann verspürt, wenn es etwas Neues und Aufregendes zu entdecken gilt. Sein Bart teilt sich zu einem Lächeln.
»Gut. Verehrter Oheim, ich beuge mich Euren Wünschen. Ich gehe mein Schwert schleifen und das Ross satteln. Sprecht Ihr so lange mit dem Komtur. In einer Stunde bin ich zum Aufbruch bereit.«
»Äh, noch etwas«, hält ihn der Dekan zurück.
»Was?«
»Ich denke, du solltest im Verborgenen reisen – als Pilger – sagen wir als Bettelmönch. Sie ist sehr störrisch. Versuche ihr Vertrauen zu gewinnen und bleibe dann an ihrer Seite. Du solltest dich nicht als Deutschordensritter und mein Neffe zu erkennen geben.«
Rupert, der schon auf dem halben Weg zum Treppenabgang ist, dreht sich langsam um. »Was meint Ihr damit, als Pilger? Als Bettelmönch?«
»Sie tragen braune Kutten«, sagt der Dekan kleinlaut. »Und kein Schwert.«
»Ach, und womöglich soll ich auch noch zu Fuß gehen?«
»Ja, das dachte ich so, denn auch Juliana und ihr Vater reisen zu Fuß.«
Ruperts Miene verfinstert sich wieder. »Zu Fuß nach Santiago – und dann auch noch ohne Schwert gegen einen Sack voll verräterischer Franzosen.«
»Das macht die Sache für dich natürlich schwierig«, räumt der Oheim ein und beobachtet die Miene des Ritters.
»Hm, darf ich wenigstens einen Dolch mitnehmen? Und einen zweiten im Stiefel tragen?«, blafft Rupert.
Dekan von Hauenstein lächelt. »Ich bitte darum.«
Nun muss auch Rupert grinsen. »Ihr seid ein Teufelskerl!«
»Lass das nicht meinen Propst hören«, wehrt der Kirchenmann ab.
»Doch, das seid Ihr. Ihr lasst die Menschen an Fäden tanzen, ohne dass sie es bemerken. Ihr wusstet, dass Ihr mich herumkriegen würdet. Vermutlich habt Ihr mir bereits eine Kutte besorgt.«
Dekan von Hauenstein schlägt die Augen nieder. »Sie ist in dem Paket, das du am Sattel meines Pferdes findest. Eine Pilgertasche und einen Stab habe ich dir auch mitgebracht.«
Für ein paar Augenblicke starrt der Deutschordensritter seinen Oheim verblüfft an, dann beginnt er, schallend zu lachen.
»Nun gut, dann wollen wir sehen, dass der Bettelmönch Bruder Rupert seine Pilgerreise antritt!« Seit vielen Monaten hat Rupert sich nicht mehr so leicht und frei gefühlt.
45
Santiago
A m Morgen des 13. Oktober 1307 ritt das Fräulein Juliana von Ehrenberg von Vila Nuova 33 aus durch das nasse grüne Galicien. Noch heute Abend würde sie in Santiago sein. Es regnete seit dem vergangenen Nachmittag ohne Unterlass. Mantel, Kittel und Hemd waren lange schon durchweicht, aber das Mädchen ritt weiter. Die Nacht hatte sie in einem Kloster verbracht. Sobald man den Weg im ersten Licht des Tages jedoch wieder erkennen konnte, war sie aufgebrochen. André hatte sie bereits in Portomarín zurückgelassen. Sein Ross war dem strengen Ritt nicht gewachsen und lahmte. Es war dem jungen Ritter gar nicht recht, Juliana allein ziehen zu lassen, aber diese ließ ihm keine Wahl. Ein frisches Pferd zu kaufen, hätte ihren Beutel zu sehr geschmälert, obwohl er mit Bruder Ruperts und des Vaters Münzen nun nicht schlecht gefüllt war. Vielleicht würden sie sich in Santiago wiedersehen. Darüber konnte sie später nachdenken, nun musste sie erst dem Bischof Don Fernandos Brief überbringen.
Wenn nur der Regen endlich nachlassen und die Wege ein wenig trockener würden. Das Pferd drohte immer wieder im Morast auszugleiten. Im Tal war das Gras schwer und nass, an den Hängen und auf den Kuppen der niederen Hügel standen triefende Eichen dicht beisammen. Ihre mächtigen, knotigen Stämme waren dicht von Moosen und Farnen bewachsen.
Das Ross kämpfte sich voran. Im Stillen dankte Juliana Bruder Rupert für seine gute Wahl. Sicher hatte er ein Vermögen dafür ausgegeben, das beste Pferd des Ortes zu erstehen. Doch
meist waren ihre Gedanken nach Frankreich unterwegs. Was geschah dort an diesem Morgen?
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