Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Gaumenfreuden über Reliquien und Amulette, Schmuckstücke aus den Gagatschnitzereien, Silberarbeiten und Kerzen bis hin zur concha , der Pilgermuschel, die jeder stolz an seine Brust heften und als Beweis für seine Reise mit in die Heimat nehmen wollte. Dazwischen erhoben Wirte ihre Stimmen, die Gäste in die Tavernen locken wollten – zu einem Becher Wein oder dem berauschenden warmen Getränk, das sie hier in Galicien aus dem Saft von Äpfeln brauten. Auch Frauen drängten sich in den Massen. Der unzüchtigen Kleidung nach waren es freie Weiber, die den weit gereisten Pilgern ihren Körper anboten.
Der Lärm der vielen Stimmen schien sich in einer Glocke über der Stadt aufzuwölben, und mit ihm der Gestank, der schlimmer war als an allen anderen Orten, die Juliana auf ihrem Weg passiert hatte. Trotz ihres Bades im Río Lavacolla verströmten die Pilger, jeder für sich, einen unangenehmen Geruch – zusammengepresst zwischen Läden und Tavernen in den von Unrat bedeckten Gassen raubte er dem Ritterfräulein den Atem.
So stand sie eine ganze Weile wie betäubt am Rand des Platzes, bis sie sich ein Herz fasste und den Wirt des Ausschanks unter den Arkaden nach dem Weg fragte.
»¿Dónde está la casa del obispo?« – »Wo befindet sich das Haus des Bischofs?«
Der Mann grinste sie mit gelben Zähnen an.
»¡El palacio de Don Rodrigo, el arzobispo!« – »Der Palast von Don Rodrigo, dem Erzbischof!« –, verbesserte er und wedelte mit den Armen die Gasse hinunter. »Al lado de la catedral.« – »Neben der Kathedrale.«
Juliana dankte und ließ sich mit dem Strom der Pilger auf die Nordfassade der Kirche zutreiben. Mit glücklichen Mienen strebten sie auf das doppelte Portal im Querschiff zu. Juliana blieb stehen und sah sich um. Auf dem kleinen Platz zu ihrer Linken duckte sich eine Kapelle neben der Kathedrale, die durch diesen Anblick noch größer und mächtiger wirkte. Welches Gebäude aber war der Palast des Erzbischofs? Rechts von ihr zog die Stadtmauer entlang, vor der sich die Gebäude eines Konvents erhoben. Daneben klebte ein kleines Haus an der Mauer, das offensichtlich ein Spital war. Der Größe nach zu urteilen, konnte es allerdings nicht mehr als ein Dutzend Pilger beherbergen. Das Mädchen ging weiter und zog ihr Pferd an den Zügeln hinter sich her. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, doch das Gewimmel in den Gassen schien nicht abzuebben. Licht und Gesänge drangen durch das offene Portal der Kathedrale. Vor ihr erhob sich düster ein Haus mit mehreren Stockwerken und doppelten Bogenfenstern. Das musste der Palast sein! Eine schmale Gasse führte an der Kirche vorbei zum Haupteingang, vor dem zwei mit Spießen bewaffnete Wächter standen.
In allen Sprachen, derer sie mächtig war, versuchte Juliana, den Männern klar zu machen, dass sie Don Rodrigo unbedingt sprechen müsse. Sie sprach von Don Fernando, dem Comandador der Tempelritter, und zeigte dessen Siegel auf dem Brief, aber die Wachen schüttelten nur die Köpfe. Fordernd streckte einer der beiden die Hand nach dem Schreiben aus. Juliana wich zurück. Konnte sie ihnen trauen? Würden sie ihn dem Erzbischof aushändigen? Beharrlich blieb sie vor dem Tor stehen und wiederholte ihr Anliegen. Das Pferd scharrte ungeduldig mit den Hufen. Das Tier war hungrig und verlangte nach Futter und einem Stall – nicht weniger als seine Herrin, dennoch blieb das Mädchen hart.
»Komm morgen wieder«, sagte der zweite Wächter. »Jetzt dürfen wir niemanden mehr stören.«
Seufzend gab Juliana auf. Sie war so erschöpft, dass sie hier auf den Stufen hätte schlafen können, doch sie musste sehen, dass sie das Tier unterbrachte, das ihr so treue Dienste geleistet hatte. Sie fragte den nächsten Pilger, mit dem sie fast zusammenstieß, nach einem Spital oder einer Herberge. Er nannte ihr gleich drei, machte aber ein besorgtes Gesicht. »Ich wünsche dir viel Glück«, sagte er zweifelnd, und strebte dann der Kathedrale zu.
Juliana wusste bald, was er meinte, denn alle Herbergen, die man für wenig oder kein Geld bekommen konnte, schienen überfüllt. Kreuz und quer zog sie das Pferd durch die Stadt, nur um immer wieder abgewiesen zu werden. So herzlich sie unterwegs meist aufgenommen worden war, so barsch und unfreundlich wies man ihr heute die Tür. Wie konnte das sein, hier in der heiligen Stadt? Sie stand nun wieder auf der Plaza del Campo, schwankend vor Erschöpfung.
»Suchst du ein Lager für die Nacht?«, sprach sie der
Weitere Kostenlose Bücher