Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
gekleidetes Männlein aus den Büschen und bot ihm an, ihm eine Quelle zu zeigen. Der Pilger war erfreut und wollte gern mit dem Männlein gehen, doch es sagte: ›Nur eine winzig kleine Bedingung müsst Ihr erfüllen, dann könnt Ihr Euch an dem kühlen Nass laben: Ihr müsst Gott und seinen Heiligen abschwören.‹ Der Pilger wehrte empört ab und schleppte sich trotz seines Durstes weiter den steilen Hang hinauf. Da erschien ihm der heilige Jakobus. Er trat zu ihm und reichte ihm seine Muschel, die mit reinem Wasser gefüllt war. Er ließ den Pilger trinken und stillte dessen Durst. Andere sagen, Sankt Jakob habe mit seinem Stab auf die Erde geschlagen, und Wasser sei hervorgesprudelt. Jedenfalls soll es unterhalb der Passhöhe seitdem eine Quelle geben, die noch nie versiegt ist.« Beifall heischend sah André seine Begleiter an. Der Bettelmönch kratzte sich nur das kurze Haupthaar und seinen schmutzigen Bart, in dem wohl schon wieder das Ungeziefer sein Unwesen trieb.
Juliana stöhnte: »Ich hoffe, wir finden die Quelle. Meine Flasche ist leer.« Ihr Gesicht war schweißnass und gerötet.
Bruder Rupert nahm die seine vom Gürtel und reichte sie ihr. »Hier, trink.« Sie zögerte, griff dann aber dankend zu. »Ist es nicht unsere Pilgerpflicht?«, brummte der Mönch und unterbrach damit ihren Dank.
Sie erreichten den Pass, über den der Wind fast mit Sturmesstärke hinwegbrauste. Die Wanderer zogen sich ihre Mäntel wieder über und beeilten sich, die Höhe hinter sich zu lassen. Ein Stück weiter oben sahen sie das geduckte Gebäude der Wallfahrtskapelle, die der Bergkette ihren Namen gab. Doch keinen von ihnen drängte es, über den windgepeitschten Kamm hinaufzusteigen, um dort ein Gebet zu sprechen.
Der Abstieg war fast so mühsam wie der Aufstieg. Nicht nur dass der Weg steil hinabführte und ihre Umhänge immer wieder an Brombeerranken und Dornengebüsch hängen blieben. Schlehen und Weißdorn, mit glänzenden Beeren behangen, säumten den Pfad, ansonsten war der Berghang mit hartlaubigen Steineichen bewachsen, die hier oben kaum eine Manneslänge überragten. Encina nannten die Menschen in Navarra diesen Baum. Was den Abstieg jedoch so schwierig machte, waren die mehr als faustgroßen Steinbrocken, die den Staubpfad bedeckten. Sie drückten schmerzhaft durch die dünnen Sohlen. Immer wieder geriet Juliana ins Rutschen, knickte ein oder schlug mit den Fußknöcheln gegen die gerundeten Steine.
»Ah!« Stöhnend blieb das Mädchen stehen und rieb sich die Zehen, die gegen einen der Brocken gestoßen waren. Sie hob den Stein auf und betrachtete ihn.
»Das ist seltsam. Ich kenne solch groben Kies nur von Flussufern.«
Bruder Rupert trat neben sie und nickte. »Ja, der Gedanke kam mir auch schon. Es ist, als wäre hier früher Wasser geströmt, aber wie kann das sein, hier auf der Flanke eines so hoch aufragenden Berges? Wieder eines der Rätsel, die Gottes Natur uns aufgibt.«
»Könnte es die Sintflut gewesen sein, die all die runden Steine hier zusammengeschwemmt hat?«, fragte Juliana und lachte unsicher. »Seht, überall ragen sie aus den Böschungen heraus.«
Es war einer der wenigen Momente, in denen der Mönch lächelte. »Wer kann das schon sagen? Es ist jedenfalls eine Möglichkeit.«
Endlich verschwanden die Steine, und weicher Sandboden schenkte den geplagten Füßen Erholung. Abgeerntete Felder schmiegten sich in die Senken zwischen den steinigen Erhebungen, auf denen nur kärglich von der Sonne verbranntes Gras wuchs. Sie durchquerten ein Dorf, das auf einem flachen Hügel lag. An einem Feldrain hielt Juliana im Schatten eines Baumes
an und setzte sich auf den ausgetrockneten Boden. André ließ sich neben sie fallen.
»Das ist eine gute Idee. Wir sollten es wie die Leute aus Navarra machen und die heiße Stunde zu einer Siesta nutzen.« Bruder Rupert brummte zustimmend. Er packte ein Stück Käse aus und biss herzhaft hinein. Der strenge Geruch vermischte sich mit dem Duft von sonnengewärmter Erde, Lavendel und dem Straßenstaub, der noch immer in der Nase brannte. Juliana zog ihre Schuhe aus, ließ sich ins trockene Gras sinken und schloss die Augen. Wie wohl das tat!
»Da, seht nur, das müssen Tempelritter sein«, hörte sie André sagen. Der junge Ritter war in der zunehmenden Hitze schweigsam geworden, nun im Schatten des Baumes schienen seine Lebensgeister wieder zu erwachen. Seine Stimme klang aufgeregt. »Wie ihre weißen Mäntel im Sonnenlicht schimmern, als wären sie aus
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