Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Bruder Rupert folgte ihnen nicht. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er in einiger Entfernung und musterte mit kühlem Blick die Kapelle.
Die Bogenpforte zu dem kleinen Gotteshaus öffnete sich, und ein Templer im weißen Mantel trat heraus.
»¡Dos peregrinos jóvenes!« Er neigte den Kopf. »¡Dios otórgamos un buen día!«
Er war klein, aber kräftig gebaut, mit kurz geschnittenem dunklen Haar und einem wuchernden Bart, der bereits von weißen Fäden durchzogen wurde. Sein Blick richtete sich starr auf die beiden Besucher.
Die Worte für »Pilger« und »guten Tag« verstand Juliana. Sie versuchte es mit Latein, aber der Templer schüttelte den Kopf. Er wechselte ins Französische.
»Was wünscht ihr? Wir sind keine Herberge, und ich habe nur wenige Vorräte zu teilen. Wenn ihr beten wollt, so tretet ein. Wenn nicht, dann rate ich euch, euren Weg bis nach La Puent de la Reyna fortzusetzen. Die Sonne schenkt uns noch einige Stunden Licht. Vor der Stadt findet ihr ein Pilgerspital unseres Ordens, das euch Speis und Trank und auch ein Lager geben wird.«
Sein Blick war so durchdringend, dass Juliana unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Hatten sie ihn bei irgendetwas Wichtigem gestört?
André verneigte sich. »Bruder – Ritter – wir freuen uns, hier zu sein und in Eurer Kirche beten zu dürfen. Darf ich Euch fragen, wozu dieser wundervolle Ort in seiner Abgeschiedenheit dem Orden dient? Ich habe gehört, hier werden wichtige Versammlungen
abgehalten.« Er sah den Templer erwartungsvoll an. Der Mann verzog keine Miene.
»Es wird viel geredet und vermutet, statt dass die Menschen sich um ihren eigenen Hof kümmern. Wir sind hier, um in dunkler Nacht mit unserer Glocke und einem Licht den Pilgern ihren Weg zu weisen und unseren Brüdern, die sich für ihre Nächsten aufgeopfert haben, eine ewige Ruhestätte zu geben.«
André dankte dem Tempelritter.
»Und ich glaube dennoch, dass sie hier geheime Treffen abhalten und Rituale feiern«, raunte er Juliana zu, als er die Kapelle betrat. André kniete vor dem einfachen Steinaltar nieder und faltete die Hände. Juliana blieb nahe der Tür stehen. Sie fühlte sich befangen. War es nicht Frevel, wenn sie, die Tochter eines Mannes, der einen ihrer Brüder gemordet hatte, hier im Haus der armen Ritter Christi stand und an ihrem Altar das Wohl ihrer Familie erflehte? Musste sie sich schuldig fühlen? Widerstand regte sich in ihr. Sie war nicht eins mit dem Vater und würde diese Tat nie billigen, ganz egal, was ihn dazu getrieben hatte. Und doch brachte sie es nicht über sich, an den Altar heranzutreten und die Knie zu beugen. Sie spürte den starren Blick des Templers in ihrem Rücken. Man erzählte sich so viele wunderliche Dinge über den Orden. War es gar möglich, dass die Templer in den Herzen anderer Menschen lesen konnten und der Ordensmann ihr finsteres Geheimnis offen sah? Sie wagte nicht, ihn nach dem Vater zu fragen, obwohl sie deshalb hergekommen war.
Ein Hufschlag ertönte. Der Templer verschwand, und bald erklangen drei Stimmen. Sie sprachen schnell und abgehackt. War das Kastilisch? Juliana konnte nichts verstehen. André erhob sich, und gemeinsam traten sie in den Umgang hinaus.
»Siehst du, Kirche und Umgang haben die Form eines Achteckes. Man sagt, die Tempelritter hätten eine ganze Anzahl solcher Kirchen und Kapellen errichtet. Böse Zungen und Hetzer behaupten, sie würden diese Form wählen, weil sie den Sarazenen
nahe stehen und auch den Juden.« Andrés Stimme klang empört. »Dabei hat keiner die Ungläubigen hier und in Palästina so bekämpft wie die Tempelritter! In Wahrheit bilden sie das Heilige Grab in Jerusalem nach. Meinst du, wir dürfen uns umschauen?« Der Templer war nicht zu sehen. Man hörte nur Stimmen.
»Da sieh nur, auf dem Säulenkapitell ist der Gekreuzigte dargestellt, aber ohne Kreuz – wie seltsam –, und hier die Apostel.« Den Kopf in den Nacken gelegt schritt André an den offenen Bogen entlang. »Hier, schau, Dämonen, denen Schlingpflanzen aus den Mäulern wuchern, und hier ein Labyrinth. Was das wohl alles zu bedeuten hat?«
Juliana sah nicht zu den Kapitellen auf und auch nicht zu den Menschenköpfen und Dämonenfratzen, die zu ihr herunterstarrten. Sie beobachtete die drei Männer, die sie nun durch die nach Osten zeigenden Bogen sehen konnte. Sie hatten die Stimmen gesenkt, gestikulierten aber ausladend. Die Reiter, die ihr den Rücken zukehrten, trugen dunkle Reisemäntel, waren also
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