Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
zwei Tage auf Ehrenberg zu Gast. Vielleicht jedoch war auch er in Gedanken versunken und hat daher nicht recht hingesehen. Immerhin hat er sie nicht mit ihrem Namen angesprochen.
Juliana traut sich nicht sich umzudrehen, zu sehr fürchtet sie, dass sie sich damit erst recht in seinen Geist drängt.
Der Wachmann am Osttor erkennt das Ritterfräulein und lässt sich durch ihr Flehen schnell erweichen. Vermutlich hofft er, dafür noch ein paar makabere Details dieses aufregenden Vorfalls aus dem Mund der Tochter zu erfahren.
»Es war bestimmt noch zwei Stunden vor dem Morgengrauen, als Euer werter Herr Vater hier auftauchte, angetan mit einem einfachen Mantel und mit einem Stab in der Hand, wie einer dieser gewöhnlichen Pilger, die manchmal im Stift Unterkunft begehren. Erst hatte er ja vor, mit dem Boot meines Oheims und dessen Sohn über den Fluss zu setzen, aber zu dieser finsteren Stunde würde keiner der Apostelfischer seinen Kahn zu Wasser lassen – und bis zum Morgengrauen, wenn die Fischer ohnehin auf den Neckar rausfahren, wollte er nicht warten. Also ließ ich ihn zum Türlein hinaus und schloss es hinter ihm wieder sorgfältig ab«, betont der Mann.
»Warst du nicht erstaunt, dass er um diese Zeit und in so ungewöhnlicher Kleidung vor dir stand?«, will Juliana wissen, die wohl ahnt, dass sich der Wächter diesen Verstoß gegen die Stadtordnung hat versilbern lassen.
Er schüttelt den Kopf. »Nein. Unser verehrter Dekan von Hauenstein war ja vorher bei mir und hat mir seinen Wunsch dargelegt, als er mit seinem Ross um Mitternacht davonritt. Er zeigte sich sehr großzügig.« Der Wächter errötet. »Wie könnte ich mich den Bitten eines so wichtigen Mannes im Stift verweigern?«
Also hat der Dekan dafür bezahlt, dass der Vater bereits seit Stunden auf der Reise sein kann.
»Das war ganz richtig von dir«, lobt ihn Juliana, obwohl er ihr dadurch die Möglichkeit geraubt hat, sich von ihrem Vater zu verabschieden.
»Ach, waren gerade der Templer und sein Wappner bei dir und haben dir ähnliche Fragen gestellt?«
»Ja, woher wisst Ihr das?«
Juliana zuckt mit den Schultern. »Das war nicht schwer zu erraten«, murmelt sie. »Und? Hast du ihnen Auskunft gegeben?«
Die Augen des Wächters huschen unruhig umher. »Nein, was denkt Ihr? Das sind Angelegenheiten der Stadt und des Stifts. Da hat sich so ein fremder Templer nicht einzumischen. – Noch dazu ein Franzose!«, fügt er hinzu.
»Aber nun berichtet mir, Fräulein, wie hat sich das Unglück in der Pfalzkapelle zugetragen?« Sein Blick ist nun fest auf das Gesicht vor ihm gerichtet.
Das Mädchen seufzt. Das ist wohl der Preis, den sie für seine Auskünfte bezahlen muss.
9
Eunate
S ie verließen die Stadt und wanderten nach Ciçur Minor 8 hinauf, wo die Caballeros del Hospital de San Juan de Jerusalém – die Ritter des Johanniterordens – ein prächtiges Kloster gebaut hatten. Die drei Pilger umrundeten die Wehrkirche mit dem niederen, zinnenbestückten Turm und folgten weiter dem Weg, der unerbittlich auf die vor ihnen aufragende Bergkette zuhielt, die sie bereits von Pampalona aus gesehen hatten.
»Müssen wir da hinüber?«, stöhnte Juliana.
»Ich denke ja«, nickte Bruder Rupert. »Ich habe mich nach unserem weiteren Weg erkundigt. Er führt über den Alto del Perdón.«
Noch stieg der Weg nur sanft bergan. Sie durchquerten ein Dorf mit einem Herrensitz etwas abseits auf einem Hügel. Nun wurde der Weg spürbar steiler, und auch die Sonne brannte mit jeder Stunde heißer vom wolkenlosen Himmel. Zwischen vertrockneten Feldern und Dornengebüsch stiegen sie den staubigen Pfad hinauf. Juliana blieb immer häufiger stehen und griff nach ihrer Wasserflasche. Ihre Füße waren heiß und brannten in den Schuhen. Der warme Wind, der durch das braune Gras strich, schien Natur und Wanderer auszudörren.
»So ging es auch dem Pilger vor langer Zeit«, durchbrach Andrés Stimme das Schweigen, »der sich – wie wir jetzt – nach Wasser sehnte, und dem dann der Teufel erschien, um ihn in Versuchung zu führen. Kennt Ihr die Geschichte? Ein alter Pilger hat sie mir gestern in der Herberge erzählt.«
Bruder Rupert schüttelte nur stumm den Kopf, während Juliana den jungen Ritter aufforderte zu erzählen.
»Nun, es war ein heißer Tag, und die Sonne brannte vom Himmel. Längst schon hatte der Pilger den letzten Rest aus seiner Kürbisflasche geleert, und die Zunge klebte ihm am Gaumen. Er war gar am Verdursten, da trat ein grün
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